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News: Nach 55 Jahren hat Juist keinen Insel-Türken mehr
Während es in großen Städten ganze türkischsprachige Stadtteile gibt, sieht es auf Juist ganz anders aus: Jahrzehntelang war Abülkadir Tulum, den man aber nur unter Kadir kennt, der einzige Juister Mitbürger mit türkischen Wurzeln. Jetzt ging er in den Ruhestand und zog nach Marienhafe.
Kadir Tulum, Jahrgang 1952, wuchs in Ankara auf und besuchte die Hotelfachschule, denn schon früh konnte er sich für Gastronomie begeistern. Zur Ausbildung gehörte damals auch ein dreimonatiges Praktikum in Deutschland, so kam er 1969 nach Frankfurt und Wiesbaden. Hier war damals die Administration des Strandhotels „Kurhaus“ ansässig und so kam er auf die Insel. Er liebte Deutschland und Juist von Anfang an, war aber auch von den Frauen mit blonden Haaren begeistert, so dass er beschloss, ganz hier zu bleiben.
Das war anfänglich nicht so einfach, aber Kurhaus-Direktor Grassinger und der damalige Leiter vom Juister Arbeitsamt, Adolf Kämpf, sorgten dafür, dass er bleiben und seine Ausbildung zum Gastronomen – heute nennt man es Restaurantfachmann – hier zu Ende bringen konnte. Danach blieb er im „Kurhaus“, im Januar 1976 jedoch veräußert H.G. Oldewurtel den Besitz an Werner Kley von der Kley Gastronomie GmbH & Co. in Hamm, der mit einem Freundeskreis eine Betreiber-KG gründete.
Ein Jahr blieb Kadir noch dort, doch vieles war nun anders, so dass er bald wechselte. „Juist ist meine Heimat“, sagt er nicht nur heute, sondern auch schon damals, so das ein Wechsel zum Festland oder auf eine andere Insel nicht infrage kam. So wirkte er im „Atelier Cafe“ (heute „Cafe Baumann“), Hotel „Bracht“ (heute Hotel „Atlantic“) und schließlich mehr als zehn Jahre im Hotel „Friesenhof“ bei Familie Peters, hier war er Oberkellner. Auch lernte er auf Juist seine Frau Anke kennen, die aus Elsfleth stammt und damals in der Hotelpension „Daheim“ tätig war. 1981 kam Tochter Susanne zur Welt, drei Jahre später Sohn Bünyamin. Beide zog es aber nach der Schule aufs Festland.
1993 gingen Kadir und Anke in die Selbstständigkeit, an der Strandpromenade wurde direkt neben der Inseldiskothek das Lokal „Kadirs Kate“ (heute "Cafe del Mar Tapas Club") eröffnet. Diese Zeit war sehr erfolgreich, denn Kadir führte den Döner auf der Insel ein, dazu selbstgemachte scharfe Soße. Und auch der Raki als türkisches Nationalgetränk floss in der Zeit reichlich an der Strandpromenade.
Leider endete diese Zeit schon nach fünf Jahren. Tulum: „Damals mussten überall Fettabscheider eingebaut werden. Allerdings meinte mein Verpächter, ich müsste den bezahlen.“ Da der aber ein fester Baubestandteil des Betriebes wurde, der nach Pachtablauf dort verbleiben würde, sah Tulum das nicht ein und verlängerte seinen Pachtvertrag nicht mehr.
Der Vollblutgastronom wollte nun mal was anderes machen, er war im Elektrobetrieb tätig, dann bei den Küstenschützern vom NLWKN. Ganz ohne ging es aber nicht, so organisierte er einige Jahre immer den Regattaball, ein Event vom Segelklub Juist.
Zwei Leidenschaften hat Kadir Tulum außer Gastronomie noch: Zum einen ist er begeisterter Amateurfunker, unter seinem Rufzeichen DF6BT war er weltweit zu hören, sogar eine Verbindung mit der damaligen Raumstation MIR gelang ihm. Funker untereinander bestätigen ihre Verbindungen immer mit sogenannten QSL-Karten; Kadir produzierte gerne welche mit alten Juister Motiven, die dann in alle Welt versandt wurden.
Eine weiterer Leidenschaft sind Fahrräder, als junger Mann ist er sogar Rennen gefahren. Bis zu seinem Ruhestand wurden sie zu seinem Beruf, beim Fahrradverleih „Alte Schmiede“ reparierte und verlieh der Fahrräder. Doch jetzt ist damit Schluss. Leider musste er seine Wohnung auf der Insel verlassen, weil diese mit dem Putzen von Ferienwohnungen, Hausmeistertätigkeiten usw. verbunden war. Tulum: „Es ist sehr schwer, hier eine Dauerwohnung, geschweige denn eine bezahlbare Wohnung zu finden.“
Zukünftig funkt DF6BT in Marienhafe vom Olldiek aus, denn dort lebt er mit Ehefrau Anke und Kater Leo jetzt. Es ist eine ziemlich Umgewöhnung für alle drei, aber im Frühjahr soll dann die große Funkantenne, die auf Juist im Ostdorf auf einer Düne stand, dort aufgebaut werden. Ob Kadir während seiner langen Juistzeit türkische Landsleute vermisst hatte? - „Nein, ich habe mit den Juistern gelebt und kam mit allen gut klar. Auch habe ich viele liebe Gäste kennen gelernt, die immer wieder kamen.“ Besonders an die Zeit im Hotel „Friesenhof“ erinnert er sich gerne zurück: „Gastronomie, das war das schönste für mich. Ich würde es auch im nächsten Leben machen wollen.“
Das Foto oben auf unserer Startseite zeigt Kadir Tulum bei seinem Abschied von Juist am Hafen. Die weiteren Bilder sind aus der Juistzeit und stammen aus der privaten Sammlung des „Insel-Türken“. Auf den QSL-Karten des Funkers sind Kadirs Wirkungsstätten zu sehen, das Kurhaus und der Friesenhof, auf dem Foto von der katholischen Kirche ist links die Düne zu sehen, wo die Antennenanlage von DF6BT viele Jahre stand.
FOTOS: STEFAN ERDMANN (1), PRIVAT (9)