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News: JNN-RÜCKBLICK: Die schwere Sturmflut von 1962
Vor 60 Jahren gab es in der Nacht vom 16. auf den 17. Februar an der Nordsee eine sehr schwere Sturmflut, die bis heute unvergessen ist. 347 Personen ertranken oder erfroren als Folge der Flut, davon 315 alleine in Hamburg. JNN erinnert in einer mehrteiligen Serie in Wort und Bild an diese Flut, wobei wir uns darin mit den Ereignissen hier auf Juist beschäftigen. Hier nun der dritte Teil.
Neben dem Tod vom Pastor Schmaltz (siehe Teil 2) gab es aber auch neues Leben, denn noch einmal mussten andere Helfer in dieser Sturmnacht den mühevollen und bei Dunkelheit auch schwierigen Weg durch die Dünen vom Loog zum Ort beschreiten. In den kritischen Stunden des Hochwassers setzten bei der Loogsterin Johanna Lehniger auch kritische Stunden, sprich Geburtswehen, ein. Sie wurde zum Josefsheim gebracht, wo zu der Zeit die Voraussetzungen da waren, dass Insulaner auch auf der Insel geboren wurden.
Es hatte dann doch noch etwas Zeit, erst am nächsten Morgen gegen neun Uhr erblickte der kleine Christof das Licht der Welt. Gerd Rose schrieb dazu: „Welch eine Dramaturgie des Schicksals, das unter solchen Naturereignissen den einen aus dem Leben abberuft und den anderen ins Leben schickt.“ Und so feierte in diesem Jahr am 17. Februar Christof Lehniger seinen 60. Geburtstag (JNN berichtete), und das immer noch auf Juist. Nachdem seine Geburt vom Wasser gezeichnet war, ließ es ihn später nicht mehr los. Rund 15 Jahre fuhr er später zur See, heute lebt er mit seiner aus Delfzijl stammenden Ehefrau Nandya in einem Haus in der Siedlung, mit Blick auf das Wattenmeer und direkt hinter dem Deich, den es 1962 noch nicht gab. Und gerne läuft er heute zusammen mit den Hunden Pinki und Fonzie am Strand am Meer entlang.
Von der damaligen Aktion anlässlich seiner Geburt weiß er, dass zu den damaligen Helfern Arend Janssen-Visser gehörte. Der Großvater des heutigen gleichnamigen Gemeindebrandmeisters hatte ihm mal davon erzählt: „Du weerst all düchtig schwoor.“ Mutter Johanna, auch eine aus Scheveningen stammende Niederländerin, blieb ebenfalls zeitlebens auf Juist und lebte direkt hinter dem Deich. Sie verstarb am 12. Mai 2020, zehn Monate vor ihrem 100. Geburtstag. Christoph bedauerte es heute sehr, dass er es immer versäumt hatte, seine Mutter nach den anderen Namen der damaligen Loogster zu fragen, die sie ins Dorf brachten.
Bereits eine Stunde vor dem Hochwasser, gegen 21:15 Uhr stieg das Wasser auf der Wattseite nicht mehr, denn der Wind drehte nun von Südwest auf West. Auf der Strandseite stieg es weiter. Meter für Meter wurde von den Dünen abgerissen, gut bewachsene Dünen wurden unterspült und versanken in den Wogen, bis zu 30 Meter Dünenbreite verschwanden in dieser Nacht. Teilweise bildeten sich auch große Einbuchtungen, und es hätte nicht viel gefehlt, und die Nordsee wäre von der Nordseite her bis zur „Domäne Loog“, die ein paar hundert Meter westlich vom Ortsteil Loog liegt, durchgebrochen. Erst bei Tageslicht konnte man die Steilküsten und das ganze Ausmaß erblicken.
Auch nach dem Hochwasser gegen 22:00 Uhr war der Einsatz für Feuerwehr und Helfer war noch lange nicht zu Ende. So waren sie noch bis zum Morgen beschäftigt, um weiterhin Sandsäcke zu füllen. Man wusste nicht, was die nächste Flut brachte.
Beim Niedrigwasser am nächsten Tag sah es aus wie am Vortag, das Wattenmeer stand immer noch unter Wasser. Nur langsam senkte sich der Wasserspiegel, aber man hatte Glück. Die nächste Flut hatte an Wucht und Wassermenge verloren. Es war überstanden, die Juister konnten aufatmen, Feuerwehrmänner und Helfer den lange entbehrten Schlaf nachholen. Gerrit Riepen erinnert sich: Am nächste Morgen mussten alle Schulkinder am Kurhaus Sandsäcke füllen, denn man wußte nicht, was die nächste Tage noch kam. „Bübi Grützmacher ist die Steilkanten runter gesprungen. Einmal zu weit, unten auf den harten Strand geknallt. Den mussten wir auf einer Tür von Bracht die Dünen wieder hoch holen“, erinnert sich Riepen, der damals 16 Jahre alt war, und er zieht sein Resümee: „Fernsehen schwarzweiß, die Nachrichten aus Hamburg waren heftig. Juist hat damals Glück gehabt.“
Als Folge der Sturmflut liefen im Anschluss überall an der Küste und auf den Inseln die Deichbauprojekte auf Hochtouren, auch auf Juist. Vordringlich war hier der Deich zwischen Ort und Loog. Bereits im Sommer 1964 begann man mit dem ersten Bauabschnitt von der Sonnenstraße (Westende vom Ort) bis zum Ginsterpad. Ein Sommer später wurde weiter gebaut und der Deich weiter verlängert und an die Haiddünen zwischen Loog und „Domäne Loog“ angeschlossen.
1968 begann man damit, einen völlig neuen Deich am Flugplatz zu bauen. Im Frühjahr 1969 konnte dieses rund 0,5 Kilometer lange Schutzbauwerk fertig gestellt werden. Es hat ein 19 Meter breites Deichschart, dass sich bei Hochwasser durch schwere Tore schließen lässt. Dieser Durchgang wird gebraucht, um die Motorsegelflugzeuge der Jugendbildungsstätte vom Platz zum Hangar zu bekommen. Der eigentliche Flugplatz liegt weiterhin außerhalb des Deiches und wird bei Sturmfluten immer noch überspült.
Die nächste große Deichbaumaßnahme erfolgte dann ab 1976, denn der alte Deich vor dem Ort hat 1962 zwar standgehalten, war aber zu niedrig, zudem bildete das Deichschart am Bahnhof sowie das Gebäude des Bahnhofes Schwachpunkte. Während Wellen auf Deichen auslaufen und ihre Energie dabei verlieren, schlagen sie mit voller Stärke gegen die steile Bahnhofsmauer und das Gebäude. Am 03. Januar 1976 gab es noch einmal eine hohe Sturmflut mit einer entsprechenden Situation.
Zuerst musste ein Deichschart gebaut werden für die Inselbahn, die Fahrgäste und Fracht zwischen Bahnhof und Anleger beförderte. Der neue Deich sollte nämlich südlich vom Bahnhof verlaufen. Dadurch kam das Bootshaus vom Segelklub Juist binnendeichs und der SKJ musste seinen ersten Hafen direkt daneben aufgeben.
Ebenso entstand ein großer Deichdurchgang in der Verlängerung der Straße, die man 1962 mit Sandsäcken verschließen musste. Dieses Deichschart, das sich ebenfalls problemlos verschließen lässt, war erforderlich, weil man die Abschaffung der Inselbahn und den Neubau eines Hafens direkt vor dem Deich plante. Das neue Bollwerk gegen die Fluten erstreckte sich nun von der Sonnen- bis zur Flugplatzstraße kurz vor den Goldfischteichen. Dazwischen entstand ein neues Gebiet, das Zwischendeichgelände. Hier soll es weiterhin keine Wohnbebauung geben. Neben dem Bootshaus, das Bestandsschutz hat, wurde dort bisher nur eine neue Rettungsstation angesiedelt, und auch die Feuerwehr soll irgendwann dort noch hin.
Der neue Deich wurde mit einer Kronenhöhe von NN + 6,65 Metern ausgebaut, wobei man ein sogenanntes Sack- und Setzmaß von 45 Zentimetern eingerechnet hatte für das Zusammensacken des Deichkörpers unter seinem eigenen Gewicht. Der Loog- und Billstraßendeich sowie der am Flugplatz sind hingegen auf NN + 5,5 Meter ausgelegt, das ist nicht ausreichend. Und zwar nicht erst seit heute, denn bereits 1990 schrieb der damalige Leiter des damaligen Staatlichen Amt für Insel- und Küstenschutz (heute NLWKN) Heie Focken Erchinger in einer Festschrift zum 150. Jubiläum des Seebades Juist: „Ein Vergleich mit dem zwölf Jahre später erbauten höheren Süddeich zeigt, dass diese Höhe auf Dauer nicht ausreicht.“
Passiert ist nach nunmehr 32 Jahre nicht viel, obwohl es entsprechende Planungen schon lange gibt. „Die Erhöhung und Verstärkung des Loogdeiches auf Juist besitzt sehr hohe Priorität unter allen Küstenschutzmaßnahmen auf den Inseln. Der NLWKN bereitet die Planungen intensiv vor“, so Prof. Frank Thorenz, Leider der NLWKN-Betriebsstelle Norden auf Nachfrage für diesen Artikel.
Das niedersächsische Umweltministerium habe im Jahr 2021 ein neues Vorsorgemaßes von einem Meter zur Anpassung an den Klimawandel eingeführt. Deshalb wird die Wellenbelastung des Deiches mit Computermodellen durch den NLWKN in diesem Jahr neu berechnet werden. Weiterhin werde das ebenfalls im letzten Jahr eingeführte Niedersächsische Klimadeichprofil für die Planungen berücksichtigt, um die Deiche zukunftssicher zu planen. Thorenz: „Basierend auf diesen Grundlagen werden erste Ergebnisse der Planung voraussichtlich im Verlauf des nächsten Jahres vorliegen.“
Und auch der Deich am Flugplatz ist zu niedrig. Eine Erhöhung werde schwierig, wie Jugendbildungsstätten-Leiter Jörg Bohn in einem Gespräch im vergangenen Jahr erklärte: „Binnendeichs stehen direkt Gebäude am Deichfuß, außen vor dem Deich sind die Rollfelder.“ Sein Wunsch wäre, wenn – ähnlich wie auf Norderney – der komplette Platz eingedeicht würde, dann könne man zudem den dann überflüssigen Deich entfernen und würde Flächen gewinnen um zum Beispiel ein festes Abfertigungsgebäude zu errichten.
In einem letzten vierten Teil werden wir in erster Linie noch einen Satz alte Bilder von den Tagen nach der Sturmflut zeigen, z.B. vom OT Lager.
Zu unseren Fotos:
Die Fotos 1 (Startseite) bis 5: zeigen den Strand mit den gewaltigen Dünenabbrüchen.
Foto 6: So sieht der Straßenbereich am Alten Bahnhof heute aus, wo man 1962 mit Sandsäcken ein Einlaufen des Wassers in den Ort erfolgreich verhinderte. Rechts im Bild kann man einen Teil des alten Deiches erkennen.
Foto 7: Westlich vom Alten Bahnhof. Dort, wo der alte Deich zu niedrig war, hatte man Mauerwerk zum Schutz vor Hochwasser aufgemauert.
Foto 8: An der heutigen großen Deichscharte, die zum Hafen führt, wird auf die Wichtigkeit von Küsten- und Inselschutz hingewiesen.
Foto 9: Blick auf den Deich, mit dessen Bau man 1964 begann und der in zwei Bauabschnitten bis zum Loog durchgezogen wurde. Links neben dem Entwässerungsgraben ist übrigens die frühere Trasse der alten Inselbahn, deren Ära vor 40 Jahren endete, noch zu erkennen. Das Foto wurde an der Stelle auf dem Deich aufgenommen, wo damals eine großes Deichschart zur Durchfahrt der Inselbahn war.
Foto 10: Das alte Deichschart, dass 1976 in den neuen Deich eingebaut wurde. Nach dem Ende der Inselbahn wurde es dort entfernt, heute ist da nichts mehr von zu sehen. Das Foto entstand im Jahr 1982.
FOTOS: Historische Fotos von 1962: FOTO BRUNKE/HEIMATVEREIN JUIST, neue Bilder und historisches Foto von 1982: STEFAN ERDMANN