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News: JNN-RÜCKBLICK: Die schwere Sturmflut von 1962
Vor 60 Jahren gab es in der Nordsee eine sehr schwere Sturmflut, die bis heute unvergessen ist. 347 Personen ertranken oder erfroren als Folge der Flut, davon 315 alleine in Hamburg. Zusammen mit der Nordwest-Zeitung erinnert JNN in einer mehrteiligen Serie in Wort und Bild an diese Flut, wobei wir uns mit den Ereignissen hier auf Juist beschäftigen. Hier nun der erste Teil.
Teil 1
Was am 16. Februar 1962 im morgendlichen Wetterbericht als „neue Atlantikstörung mit vorübergehend milden Meeresluftmassen“ angekündigt wurde, klang völlig harmlos, und wohl kaum jemand in Ostfriesland und auf den Inseln machte sich Sorgen. Was dann aber in den nächsten Stunden kam, darüber hat wohl jede Watteninsel vom niederländischen Texel bis zum dänischen Fano eine Geschichte zu erzählen.
Auch auf Juist machte sich im Laufe dieses Freitagnachmittags Unruhe breit. Bei Niedrigwasser stand das Wasser so hoch wie beim normalen Hochwasser. Und es gab Warnungen vor einer schweren Sturmflut, die Voraussagen über die zu erwartende Hochwasserhöhe wurden vom Deutschen Hydrographischen Institut mehrfach noch oben korrigiert.
Als 1998 die Juister Feuerwehr aus Anlass ihres 100jährigen Bestehens ein Buch herausgeben wollte, war Gerhard Rose Gemeindebrandmeister auf Juist. In damals dritter Generation führte die Familie Rose die „Bahnhofsgaststätte“ (später „Kompass“) und da der alte Bahnhof eine zentrale Rolle bei der Sturmflut 1962 spielte - er war in den alten Deich eingefügt und damit quasi ein Teil des Sturmflutschutzes - erklärte der Brandmeister sich bereit, den Beitrag über die Sturmflut-Ereignisse für das Buch zu liefern. Er selbst war damals sieben Jahre alt, und bei ihm am Stammtisch saßen jetzt täglich ältere Juister und Feuerwehrmänner, die davon viel erzählen konnten, und wovon zwischenzeitlich viele verstorben sind. Zudem waren die alten Fahrtenbücher und Unterlagen der Feuerwehr sehr hilfreich.
Wie Rose, der bereits im März 2002 mit nur 47 Jahren verstarb, recherchierte, hatte sich die damalige Wehr- und Gemeindeführung entschlossen, gegen 17:30 Uhr durch Sirenengeheul und Kirchenglocken die Wehr und Bevölkerung zu alarmieren. Schnell war klar, dass der Gefahrenschwerpunkt auf der Billstraße zwischen dem Dorf (Hauptort) und dem Ortsteil Loog lag, denn hier gab es nur einen sehr niedrigen Deich, der überwiegend aus Naturdünen bestand. Zwar entstand bereits in den 50er Jahren nach der schweren Holland-Sturmflut von 1. Februar 1953, wo mehr als 1.800 Tote in den Niederlanden zu beklagen waren, ein Niedersächsisches Küstenprogramm, in dem auch der zu bauende Deich zwischen Ort und Loog festgeschrieben war, allerdings war dieses noch nicht umgesetzt.
Zuerst einmal fuhr eine Gruppe zur Billstraße, wo seinerzeit das Haus „Inselfriede“ gebaut und Dachholz an der Straße gelagert wurde. Das wurde gesichert, damit es nicht vertreiben und Schaden anrichten konnte. Weitere Mitglieder waren an der Jaguarstraße, dem Abzweiger an der Flugplatzstraße, der zu den Goldfischteichen führt, tätig. Hier konnte zu der Zeit das Wasser ungehindert in die Dünen einlaufen, der heutige Hügel, über den die Straße läuft, wurde erst später hergestellt. Zusammen mit dem Bauarbeitern der Firma Joh. Wilken füllte man hier Sandsäcke und dichtete beim Haus „Prochnow“ die Straße ab.
Eiligst wurden nun überall Sandsäcke gefüllt, wobei jeder gesunde Insulaner mit anfasste. Der niedrige Deich im Bereich des damaligen Hotels „Seeblick“ (später Hotel „Hultsch“) wurde damit verstärkt. Zwischen dem Bahnhof und dem Deich gab es damals einen Zugang zum Wattenmeer und zur Umschlaganlage der Inselbahn für Baustoffe (heute führt diese Straße vom Ort weiter zum Inselhafen). Gegen 19:00 Uhr begann man damit, diese Deichscharte am Bahnhof mit Sandsäcken zu verschließen. Hieran waren besonders die Mitarbeiter der Reederei Norden-Frisia mit beteiligt, immerhin hatte diese während der Inselbahnzeiten bis zu vierzig Personen auf der Insel in Lohn und Brot.
Es begannen bange Stunden, denn erst gegen 22:00 Uhr war Hochwasser, der Sturm kam aus Südwest, so dass sich auf dem Wattenmeer starker Seegang aufbaute, der gegen Deich, Bahnhofsgebäude und -mauer und die Sandsäcke schlug. Teilweise gelangte das Wasser über die Treppe vom Bahnsteig zur Halle bis vor die Abfertigungsschalter, allerdings hatte man hier die Sache im Griff. Auch der Sandsackwall am Ende der Bahnhofsmauer erfüllte seinen Zweck, anders als bei den meisten Ostfriesischen Inseln konnte das Dorf „gehalten“ werden. Hätte es hier einen Durchbruch gegeben, dann wäre immenser Schaden entstanden, denn die meisten Hotels und Pensionen haben im Ort umfangreiche Keller-, Lager-, Wäscherei- und Heizungsanlagen, es gab zudem zahlreiche Kellerkneipen.
Wie der heute in Emden lebende Juister Gerrit Riepen sich erinnert, kam seinerzeit lediglich beim damaligen Kinderheim der Stadt Unna im Ostdorf Wasser und hat die damaligen tiefer liegenden Gärten an der Otto-Leege-Straße volllaufen lassen. In einem dieser Gärten baute später der damalige Wasserwerker und Feuerwehrmann Heinz Michalczak das Haus „Pinguin“.
Außerhalb des Ortes sah die Lage indes viel schlimmer aus, davon dann im zweiten Teil.
Zu unseren Fotos:
Die Bilder sind allesamt am Abend des 16. Februar 1962 am Alten Bahnhof aufgenommen worden.
JNN-ARCHIVFOTOS: HEIMATVEREIN JUIST
Die Fotos wurden seinerzeit von der Firma Foto Brunke gemacht, dessen Archiv heute dem Heimatverein gehört. Wir haben die Fotos dank der Hilfe von Karl-Johann Saathoff aus Westerende aus dem aufgelösten Archiv vom früheren Landkreis Norden bekommen.