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News: Heute vor 90 Jahren ertranken 15 Borkumer im Haaks Gat
„Wie mit grimmgem Unverstand, Wellen sich bewegen! Nirgends Rettung, nirgends Land, vor des Sturmwinds Schlägen!“ Mit diesem – für einen Jahreswechsel ungewöhnlichen – Lied enden die Silvestergottesdienste in den Juister und Borkumer Inselkirchen in jedem Jahr. Viele Gäste sind dann dabei, nur wenige kennen den Hintergrund. Warum dieses Lied? - Es erinnert an die dramatischen Ereignisse westlich von Juist, die heute vor genau 90 Jahren stattfanden und wobei 15 junge Borkumer Männer den Tod in den Fluten der Nordsee fanden.
Es begann alles so schön und mit einem fröhlichen Fest. 17 junge Männer des Borkumer Turnvereines waren für einen gemeinsamen Turnabend am 20. September 1931 nach Juist gefahren. Sie feierten zusammen mit den Juistern und brachen am 21. September dann mit dem kleinen Motorschiff „Annemarie“ wieder zur Rückfahrt nach Borkum auf. Der erfahrende Schiffsführer Christians Harms traf jedoch eine verhängnisvolle Fehlentscheidung, dass er nicht südlich von Memmert, sondern nördlich davon durch das Fahrwasser Haaks Gat fahren wollte.
Ein Unwetter kam auf und die Sicht verschlechterte sich. Bald war nichts mehr zu sehen, denn das Fahrwasser war kaum bezeichnet. Die Dünung wurde stärker und eine Welle traf das Boot von der Seite und ließ es voll Wasser laufen. Es wurde erst mal ausgepützt, aber auch der Anker hielt nicht, so dass die „Annemarie“ auf eine Sandbank auflief. (Zur Orientierung für Ortsunkundige: Alles spielte sich im Bereich westlich von Memmert und Juist an der Kachelotplate, also den Seehundsbänken, wohin heute die Ausflüge mit der „Wappen von Juist“ stattfinden, ab)
Mit den heutigen Kommunikations- (UKW-Seefunk, Seenotsendern, Handy usw) und Suchmitteln (Radar, AIS, Funkpeilung, Suchscheinwerfern usw.) sowie den schnellen Rettungsfahrzeugen zu Wasser und in der Luft wäre die Sache schnell und unspektakulär über die Bühne gegangen und schnell Hilfe vor Ort gewesen. Vor 90 Jahren sah das anders aus, die „Annemarie“ hatte lediglich Seenotraketen an Bord, um auf sich aufmerksam zu machen. Und diese waren von dem Wasser im Schiff durchnässt und ließen sich nicht mehr zünden.
Für die 17 jungen Turner und zwei Seeleuten begannen nun dramatische Stunden, die ganze Nacht wurde das Schiff durchgeschüttelt, mehrfach spülte die See einen der Borkumer von Bord, die anderen konnten ihn aber schnell wieder an Bord ziehen, schließlich banden sich die Männer zusammen. Mit dem Einsetzen der Ebbe wurde es ruhiger, als das Schiff trocken lag, erkundete man die Sandbank. Die schreckliche Erkenntnis dabei war: Es gab keinen rettenden Weg nach Memmert.
Am Morgen des 22. September kam das Wasser im Gewalt zurück, nun wurde ein Mann nach dem anderen von den Wellen erfasst und ertrank in den Fluten. Im Morgengrauen sah Heinz Bakker, ein sehr guter Schwimmer, die Insel Memmert, er sprang in die Fluten, um Hilfe zu holen. Mit letzter Kraft erreichte er die Insel und der damalige Vogelwart Dr. Otto Leege setzte einen Notruf für die Rettungsboote auf Juist, Borkum und Norderney ab. So konnten noch drei weitere Borkumer gerettet werden, doch für 15 kamen die Retter zu spät.
Nach den Vermissten wurde noch tagelang gesucht, einige wurden später gefunden, neun Mann blieben auf See.
„Selten hat wohl ein Leid mit solch erschütterndem Ernst soviel Glieder unserer Gemeinde zu gleicher Zeit gemeinsam betroffen, selten eine Trauer in solchem Umfang soviele zu einer Gemeinschaft zusammengefügt, wie das Leid und die Trauer, die in diesen Tagen über Frauen, Kinder und Eltern hereingebrochen ist“, brachte es die „Borkumer Zeitung“ in ihrer Ausgabe vom 24. September 1931 auf den Punkt.
Fast die Hälfte der damaligen Borkumer Inselbevölkerung – rund 1.500 Personen – nahmen an der Trauerfeier am folgenden Sonntag statt. Und alle hatten hatten Ehemänner, Söhne, Brüder, Verwandte, Nachbarn oder Freunde verloren.
Auch heute noch habe die Borkumer das Unglück und die Verstorbenen nicht vergessen. Deshalb findet dort auch heute Abend eine Andacht am alten Leuchtturm statt, und der Männerchor des Vereines Borkumer Jungs wird zum Gedenken an das Unglück der Annemarie singen.
Zum Gedenken stellten die Borkumer Jungs einige Jahre nach dem Unglück auch ein großes Holzkreuz auf Memmert auf. Wer früher zu den Seehundsbänken oder Memmert fuhr, wird sich daran erinnern. Oft wurde es auf Juist als Gedenkkreuz für Otto Leege bezeichnet und auch „Otto-Leege-Kreuz“ genannt. Das war indes aber falsch. Es stand in der Nähe, wo die „Annemarie“ gestrandet war. „Denke an den Tod! Annemarie-Unglück – 21. September1931“ steht auf dem Kreuz. Die Lage von Memmert veränderte sich aber im Laufe der Jahrzehnte, so dass es verlegt werden musste. Inzwischen wurde es nach Borkum geholt, restauriert und an der Wand vom Alten Leuchtturm zusammen mit entsprechenden Erinnerungs- und Infotafeln angebracht.
Und auch im 90. Jahr wird es zu Silvester in den Inselkirchen wieder sein wie jedes Jahr: „Wie mit grimmgen Unverstand Wellen sich bewegen…..“
JNN-ARCHIVFOTOS: STEFAN ERDMANN