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Rat und Verwaltung: „Seeferienheim“ ist ein Geschenk für die Insel

Beigetragen von S.Erdmann am 08. Jan 2020 - 17:50 Uhr

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„Arme hoch, wer für den Kauf des Seeferienheimes durch die Inselgemeinde ist!“ – Eine Spontanab-stimmung (siehe Foto) der anwesenden Zuhörer bei der Bürgerinformationsversammlung am Dienstag-abend im vollbesetzten Dorfgemeinschaftshaus „Alte Schule“ sowie zahlreiche Wortbeiträge ergaben den Konsens, dass die Insel Juist das Jugendferienheim lieber für eigene Zwecke erwerben und nutzen soll. Die von der SPD beantragte und von der Verwaltung durchgeführte Veranstaltung zeigte das große Interesse der Bevölkerung an diesem Thema.

Wie JNN ausführlich berichtete, hat der evangelische Kirchenkreis Dortmund als Eigentümer im Juni 2018 vor dem Juister Bauausschuss angekündigt, das Haus zu schließen und an einen kirchlichen Träger zu veräußern, der das Objekt als Jugendfreizeitheim weiterführen würde. Auf Juist und auch in Dortmund sorgte dann die Entscheidung im November 2019, das aus vier Gebäuden bestehende Objekt an einen Bauunternehmer aus dem Oldenburgischen für 3,2 Millionen Euro zu verkaufen, für viel Verwunderung und auch Verärgerung. Nun kamen Rat und Verwaltung unter großen Zeitdruck, denn zwei Monate nach dem Verkauf muss die Gemeinde erklären, ob sie das ihr zustehende Vorkaufsrecht zieht. Andernfalls wird der Kaufvertrag zwischen Kirchenkreis und Bauunternehmer rechtskräftig; diese Frist läuft am 21. Januar ab, und am 14. Januar wird der Rat auf öffentlicher Sitzung darüber zu befinden haben.

Bauamtsleiterin Karoline Engel führte dazu die baurechtlichen Dinge aus und stellte vor allem klar, dass der vielfach geäußerte Wunsch, das Objekt zu übernehmen, um dann einfach Dauerwohnraum für Insulaner zu schaffen, so nicht realisierbar ist. Die Gemeinde darf das Vorkaufsrecht nur unter sehr engen Rahmenbedingungen ausüben. So darf das Objekt nur für Zwecke des Allgemeinbedarfes verwendet werden, denn eine solche Festsetzung liegt auf dem Grundstück. Die Möglichkeiten seien hier allerdings sehr breit gefächert, so könne es an einen Träger verpachtet werden, der es in bisheriger Form als Jugendferienheim weiterführt, aber auch Altersheim, Begegnungsstätte, Mehrgenerationenhaus, Dauerwohnraum mit sozialer Zweckbindung für Personen, die zur Aufrechterhaltung der Infrastruktur vonnöten sind (z. B. Rettungssanitäter, Kindergartenmitarbeiter usw.), selbst ein Bauhof für die Gemeinde könne dort eingerichtet werden. Engel: „Egal was kommt, als Eigentümer der Fläche sagen wir als Gemeinde, was dort passiert.“

Sie riet dazu, das Objekt zu übernehmen, denn damit erwerbe die Gemeinde den auf Juist sonst nicht vorhandenen Grund und Boden und somit Vermögen. „Es ist wie ein Geschenk“, stellte Engel fest, denn immerhin sei das Grundstück stolze 8.585 Quadratmeter groß, alleine bei den Bodenpreisen auf der Insel würde dieses einem Wert von acht bis neun Millionen Euro entsprechen.

Auf die wichtige Frage eines Bürgers nach der finanziellen Machbarkeit antwortete sie, dass dieses intensiv mit dem Kämmerer, der krankheitsbedingt nicht zugegen war, besprochen wurde. „Wir haben die Möglichkeit, es finanziell zu schaffen“, so Engel. Zudem stehe man im engen Kontakt mit der Kommunalaufsicht hinsichtlich dieser Frage. Auch der als Zuhörer anwesende Juister Kreistagsabgeordnete Gerhard Rinderhagen (CDU) wies darauf hin, dass das Projekt nur in enger Abstimmung mit dem Landkreis erfolgen könne. Seine Anregung, vielleicht nur das halbe Grundstück zu nutzen und die anderen Hälfte dem Bauunternehmer zu überlassen, wurde indes gar nicht erst diskutiert, da sonst niemand der Anwesenden einen Grund dafür sah.

Auch Bürgermeister Dr. Tjark Goerges sprach sich für die Übernahme des Kaufvertrages aus. Die Kommune müsse da zwar mit schwarzen Zahlen rausgehen, aber seit drei Jahren sei er schon auf der Suche nach Flächen. Jetzt habe man als Gemeinde plötzlich eine sicher einmalige Chance, die wohl größte Fläche, die je auf Juist am Stück veräußert wurde, zu bekommen. Daher hoffe er auf Zustimmung durch den Rat, und er wies darauf hin, dass durch den Bauunternehmer sicher Gebäude „mit der Wucht der anderen Billstraßenhäuser“ gebaut würden, zudem würde dort Wohnraum entstehen „wo wir nicht wohnen werden“.

Da der Kirchenkreis Dortmund als Grund für die Schließung des „Seeferienheimes“ die zu schwache Auslastung und dadurch mangelnde Rentabilität vorgab, hatte die Verwaltung den Bildungsstättenberater Horst Bötcher aus Bremen eingeladen, der schon seit mehr als 30 Jahren solche gemeinnützigen Projekte berät, begleitet, analysiert, optimiert und plant. Unter anderem hat Bötcher von 2011 bis 2016 das Haus „Blinkfüer“ der evang.-reformierten Kirche Leer auf Borkum begleitet, ebenso war er beim Wechsel der Borkumer Jugendherberge von der Strandpromenade in die ehemalige Kaserne auf der Reede, wo heute 750 Betten vorhanden sind, als Planer dabei, so dass er auch über ausreichend Inselerfahrung verfügt.

Es gäbe derzeit rund 5.500 Häuser mit jährlich rund 45 Millionen Übernachtungen in der Bundesrepublik, zwar habe es eine Marktbereinigung gegeben, aber es gäbe in jedem Fall eine steigende Nachfrage bei attraktiven Standorten, und da höre das Meer auf jeden Fall zu, so Bötcher. Solche Häuser, zudem mit einer speziellen Nutzung, d.h. entsprechenden Programmangeboten, verzeichnen enorme Zuwächse. Bötcher: „Programm hatte das Seeferienheim nie“. Er selbst habe 2016/17 eine Analyse für den Kirchenkreis Dortmund gemacht, das operative Geschäft habe dort immer schwarze Zahlen geschrieben. Vielmehr sah er dort das Problem, dass man der Meinung war, die Kinder und auch Senioren nicht mehr zu erreichen. Den Investitionsstau sah er indes auch als Problem, hier sei einiges falsch gemacht worden. Mit 173 Betten habe das Objekt aber eine gute Größe, denn 140 Betten seien als Untergrenze für ein rentables Haus anzusetzen. Am Seeferienheim selbst würde er den alten Speisesaal entfernen und ersetzen, aber nicht das komplette Gebäude: „Der Teil mit der Küche und die Küche ist spitze.“ Ebenso wies er auf ein Untersuchungsergebnis aus 2014 hin, wonach ein Jugendlicher in einem solchen Haus pro Nacht rund 85 Euro bringe, darin eingerechnet natürlich das Geld, was das Haus selbst für Übernachtung, Verpflegung, Programm usw. bekäme.

Ein Zuhörer wies zudem darauf hin, dass wegen der derzeitigen Klimadiskussionen und Demos in vielen Schulen verstärkt der Trend weg von den Flugreisen ins Ausland da sei, somit würde die Nachfrage in Deutschland steigen, ein anderer stellte die Frage, wer das „Seeferienheim“ denn betreiben solle.

„Wir stehen permanent mit dem Kirchenkreis der evangelisch-reformierten Kirche in Leer in Kontakt“, so der Bürgermeister, denn dieser betreibt nicht nur das Haus „Blinkfüer“ auf Borkum, sondern hatte auch ein Kaufangebot nach Dortmund gegeben. Zudem habe sich auf eigene Initiative ein interessierter Verein gemeldet, der aus dem Umfeld der katholischen Kirche kommt und es auch gerne betreiben würde. Horst Bötcher wies in dem Zusammenhang darauf hin, dass die Betreiber bei den zuständigen Stellen Zuschüsse oder Fördergelder einfordern werden, diese würde meistens mit der Auflage verteilt, dass man den Betrieb mindestens 25 Jahre bewirtschaften müsse. Daher mache es keinen Sinn, über Betreiberverträge von nur zehn Jahren zu verhandeln.

Neben dem bisherigen Weiterbetrieb gingen die Erwartungen bei den Zuhörern dennoch verstärkt in Richtung Dauerwohnraum. Der frühere Bürgermeister Johann Wübben (CDU) und die ehemalige stellvertretende Bürgermeisterin Hanne-Gret Fleßner (SPD) sprachen dabei besonders das Grundstück westlich vom Seeferienheim an, dieses solle man unabhängig vom „Seeferienheim“ endlich zur Schaffung von Dauerwohnraum verwenden. (Anmerkung der Redaktion: Zu Ratszeiten von Wübben und Fleßner wurde ein solcher Beschluss gefasst, allerdings müsste dafür erst ein Teil des Grundstückes vom Land Niedersachsen dazu gekauft werden; spätere Räte legten das Projekt wegen der überzogenen Ablöseforderungen des Landes zu den Akten). Da beide immer wieder damit kamen, musste Goerges mehrmals darauf hinweisen, dass dieses Grundstück kein Gegenstand der Versammlung und der aktuellen Beratung sei. Wohl könne man dieses Nachbargrundstück bei den weiteren Planungen mit aufnehmen.

Von der ehemaligen Ratsfrau Hilta Depser-Moritz (Grüne), kam der Vorschlag, das Seeferienheim als Altenheim und Begegnungsstätte zu nutzen, sie verteilte gleich Pläne unter den Zuhörern, wie sie sich die Sache vorstellte. Die weitere Behandlung davon lehnte der Bürgermeister aber ab, da das zu weit ins Detail ging. „Wir haben viele Möglichkeiten, aber wir haben keine Zeit“, so Goerges. Ein Loogster schlug schließlich vor, eine spontane Abstimmung durchzuführen, wer dafür sei, dass das Seeferienheim ins Eigentum der Gemeinde ginge. Goerges nannte dieses lediglich eine „Marktforschungsstichprobe“, aber es war erkennbar, dass eine große Mehrheit der rund 90 anwesenden Zuhörer dieser Lösung zustimmte.

Im Anschuss an die rund zweistündige Bürgerversammlung gab es noch ein Ratsinformationsgespräch zusammen mit Horst Bötcher. Zudem sollte dort per Telefonkonferenz mit einem Rechtsanwalt über die juristischen Feinheiten gesprochen werden. Ob das indes technisch geklappt hat, ist allerdings fraglich, denn eine von Bötcher vorbereitete Präsentation konnte auf der Bürgerversammlung nicht gezeigt werden, weil die Technik nicht funktionierte und der dafür verantwortliche Fachmann der Gemeinde nicht zugegen war.

Am Donnerstagabend (09. Januar) um 19:00 Uhr wird der Bau- und Umweltausschuss als zuständiger Fachausschuss über das Thema auf öffentlicher Sitzung im Dorfgemeinschaftshaus sprechen.

Unsere weiteren Fotos zeigen den vollbesetzten Zuhörerbereich im Dorfgemeinschaftshaus, ein weiteres Bild zeigt den Berater Horst Bötcher bei seinen Ausführungen, im Hintergrund als Zuhörerin SPD-Ratsfrau Martina Poppinga, die die Durchführung der Bürgerversammlung beantragt hatte.

JNN-FOTOS: STEFAN ERDMANN (3), PRIVAT (2)

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