Newsbeiträge
Segelklub Juist: Kein Boot war länger auf Juist als "Condor"
Fast unbemerkt ging dieser Tage eine Stück Juister Geschichte zu Ende: Der alte Segelkutter "Condor" hat die Insel verlassen, wo er rund 60 Jahre beheimatet war. Kein anderes Boot war so lange auf der Insel und im Segel-Klub Juist. Nachdem das Schiff einen Brandschaden erlitten hat, wurde es nun verkauft und wird es jetzt in der Nordheide restauriert
Etwa 1934 entstand das Boot auf einer Werft in Ostdeutschland, damals als offenes Schiff ohne Kajüte. Für die Fachleute: es wurde in Diagonal Karweel Bauweise unter Verwendung von vier Sorten heimischer Hölzer erstellt. Vier durchgehende Sitzbänke mit je 4 Bronze-Ruderdollen auf jeder Seite und ein Dreieck Steckschwert waren die Merkmale des Kutters.
Das Schiff kam nach dann Norderney, und es wurde nach Ende des Krieges im Hafen versenkt, um es dem Zugriff der Besatzungsmacht zu entziehen. Nach Abzug der Engländer wurde das es wieder gehoben, eingedeckt und erhielt jetzt Mast und Kajüte. Mitte der 50iger Jahre kam es dann in den Besitz der Familie Kattwinkel auf Juist.
Franz Kattwinkel und sein Nachbar Albertus Westerkamp verdienten mit dem Schiff Geld, indem sie Seehundsjäger von Norddeich und Juist ins Watt brachten. Damals hatte Juist noch keinen Bootshafen, und "Condor" sowie alle anderen Juister Schiffe lagen während des Sommers auf dem Watt vor Anker.
Schon als Jugendlicher kam der Juister Reiner Behrends an Bord, lernte dort das Segeln und war oft mit, wenn das Gespann Kattwinkel/Westerkamp zu den Regatten nach Norderney oder Langeoog fuhr. Damals gab es noch auf jeder Wettfahrt eine "Kutterklasse. Auf den Inseln, in den Küstenhäfen und an der Ems waren etliche Kutter dieses Typs viele Jahre in Fahrt. "Condor" war der letzte seines Typs im hiesigen Revier.
Als die Seehundsjagd zu Ende ging, verloren die Eigner das Interesse und verschenkten den Segelkutter an Norbert Kattwinkel, den Sohn von Franz. Auch Behrends stieg in das Projekt mit ein, zusammen bildeten sie nun eine Eignergemeinschaft.
Es wurde dann in das Schiff investiert, denn der Holzrumpf erhielt ein Kunststoffkleid, und der luftgekühlte VW-Motor wurde durch eine 10 PS Farymann Einbaumaschine mit liegendem Zylinder ausgetauscht. Dieser reichte allerdings bei stärkerem Wind von vorne nicht aus.
Höhepunkt in jedem Jahr war die jährliche Urlaubstour, die Reiner Behrends und Norbert Kattwinkel unternahmen. Gemeinsame Fahrten führten im Westen bis nach Dünkirchen und in der Ostsee bis nach Bornholm. Dabei musste man unterhalb von Schweden fahren, denn die Deutsche Ostseeküste war damals als DDR-Gebiet tabu. Alle niederländischen Inseln lernten sie kennen, und die dänischen Nordseeinseln erreichten sie auf einer Tour durch den Limfjord-Kanal in die Ostsee.
Dann schaffte sich Norbert Kattwinkel ein eigenes Motorboot an, da er inzwischen eine Familie hatte, und damit stand Behrends vor der Frage zum Weitermachen oder Verkauf. Er entschied sich, den alten Segelkutter zu behalten und begann 1989 mit einem großen Umbau.
Nur die offene Bootsschale, der nackte Rumpf, blieb vom alten Schiff stehen – es begann der Aufbau. Der Rumpf war tadellos intakt. Das Deck wurde höher gelegt und ein umlaufendes Schanzkleid mit vor den Mast laufender Kajüte ist das Merkmal des Umbaus. Unter Verwendung von Esche, Eiche und Teak, wurden neue Bodenwrangen und das Deck eingebaut. Fenster und Luken gaben dem Schiff ein Gesicht. Drei Schotten aus Bootsbau-Sperrholz unterteilen den Innenraum. Eine grundüberholte gebrauchte Maschine (ein Farymann Dreizylinder mit 28 PS) mit neuer Wellenanlage und Drucklager wurden als neue Antriebseinheit eingebaut.
Der Holzmast (Baujahr 1956) wurde ganz abgezogen und mit Coelan versiegelt. Die Segelwerkstatt Stade liefert eine neue Segelgarderobe, passend zum neuen Selden-Baum. Auch der Schwertkasten wurde ganz neu aufgebaut. Nach fast vier Jahren Umbauzeit und ungezählten Arbeitsstunden begann zum Spätsommer 1993 die neue Condor–Ära.
Gleichzeitig wurde aber die Zeit zum Segeln immer weniger, weil geschäftliche Dinge Vorrang hatten, hinzu kam für Behrends die Pflege von zwei Elternteilen. Nach dem Tode beider Eltern und Einschränkungen bei den Geschäftszeiten wurde es an den Wochenenden etwas besser, aber das Segeln blieb auf das Hausrevier beschränkt. Die Zeit der großen Urlaubsfahrten war vorbei.
2010 wurde dann die gesamte Bordelektrik von einem Norddeicher Fachbetrieb erneuert. Die Maschine hatte mit der neuen Elektrik keine zehn Betriebsstunden geleistet, da passierte im September 2014 das Unglück: Behrends hörte zwar während des Mittagessens die aus dem nahegelegenen Feuerwehrhaus ausrückende Wehr, doch erst als eine viertel Stunde später die Polizei im Haus stand, da wusste er, dassd er Einsatz ihm bzw. seinem Boot galt. Die neue Elektrik hatte einen Kurzschuss ausgelöst, die Feuerwehr konnte aber das Schiff retten, indem sie es komplett unter Schaum setzte.
Seitdem lag das Schiff an Land, wurde von Behrends gereinigt, und es hatte lange gedauert, bis er den rationalen Entschluss fasste, sich nach einem dreiviertel Menschenleben davon zu trennen. Behrends: "Die Innensanierung, insbesondere die ganze Elektrik und Elektronik, wäre sehr kostspielig geworden. Ich wollte mir das nun nicht mehr antun."
Michael Kandolf aus Visselhövede im Kreis Rotenburg/Wümme will es sich antun. Er fand die "Condor" in einer Seglerzeitung und konnte sie nun für kleines Geld erwerben. Dem selbstständigen Tischlermeister ist klar, dass er da viel Arbeit gekauft hat, aber er zeigte sich zuversichtlich, als er das Boot auf Juist abholte. Kandolf: "In eineinhalb bis zwei Jahren werde ich das Schiff wieder in Fahrt haben." Er selbst will dann nach Schleswig-Holstein ziehen und beabsichtigt, den alten Juister Segelkutter auf die Schlei zu legen und dort zu segeln. Dieser Tage holte er mithilfe einer Spedition das Boot von Norddeich nach Visselhövede, nachdem es zuvor mit dem Frachtschiff "Frisia VIII" die Insel verließ.
Und auch Reiner Behrends wird weiterhin auf dem Wasser unterwegs sein. Er kaufte auf Juist ein Segelboot von einem Klubkameraden. Dieser Tage wurde der neue Name angebracht. Wie das neue Schiff nun heißt, ist sicher nicht schwer zu erraten: "Condor" natürlich.
Unsere Fotos zeigen die "Condor" bei der Verladung am Hafen, ebenso der neue Eigner Michael Kandolf (links) und Reiner Behrends bei der Schiffsübergabe. Weitere zwei Fotos zeigen den alten Segelkutter vor Anker und drei Bilder entstanden im September 2014 beim Brand des Schiffes.
JNN-FOTOS: STEFAN ERDMANN (4), REINER BEHRENDS (2), FEUERWEHR JUIST/UWE WUNDER (3)