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Rat und Verwaltung: Entscheidung der Inselbürgermeister zum Kurbeitrag schlug hohe Wogen

Beigetragen von S.Erdmann am 12. Mai 2020 - 16:50 Uhr

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Eigentlich gab es neben den Regularien nur einen Punkt auf der Tagesordnung für die Gemeinderats-sitzung, die am Montag im Großen Saal vom „Haus des Kurgastes“ stattfand. Doch der komplexe Punkt, die Einwohnerfragestunde, Bericht des Bürger-meisters und Fragen und Anregungen – fast alles zum Thema Corona – zeigten das große Interesse und die vielen ungeklärten Fragen, die sich derzeit ergeben. Erst nach fast zwei Stunden konnte Ratsvorsitzender Björn Westermann (Pro Juist) die Sitzung schließen.

Mit zwei Enthaltungen – zudem fehlten drei Ratsmitglieder – fand sich nach langer und intensiver Diskussion eine Mehrheit für die Annahme des Beschlussvorschlages, wonach die Verwaltung beauftragt wird, alle Rechtsmittel auszuschöpfen, um einen Tourismus auch mit Corona auf der Insel vollumfänglich zu ermöglichen. Hierzu hatte Ratsherr Gerhard Jacobs (CDU) einen Eilantrag eingebracht, wonach eine Rechtsmittelprüfung hinsichtlich der Berücksichtigung der Juister Interessen im Kontext der Wiederaufnahme des Tourismus durchgeführt werden soll. Ein innerdeutscher Tourismus sei – unter Einhaltung von Hygiene- und Abstandsgeboten - wieder möglich, so Jacobs, denn das deutsche Gesundheitswesen hatte nun ausreichend Zeit, sich auf die Ausnahmesituationen vorzubereiten. Das sei wohl der Fall, da bereits Krankenhäuser ihre Mitarbeiter sogar in Kurzarbeit schicken bzw. die Aufnahme des Regelbetriebes wieder erlaubt wurde.

Bürgermeister Dr. Tjark Goerges sprach von einer „Konfusionssituation“, da die Gemeinde gegen eine übergeordnete Stelle klagen müsste, er sah daher Bedenken, ob diese überhaupt klageberechtigt sei. Der Rechtsanwalt der Gemeinde habe nur klar darauf hingewiesen, dass Betriebe, die in ihrer Gewerbetätigkeit beeinträchtigt werden, gegebenenfalls sogar klagen müssen. Wenn sie die Verordnung erst dulden, sei es schwer, im Nachhinein Forderungen zu stellen. Der Verwaltungschef vermisse hier auch eine Positionierung der Verbände wie IHK, DEHOGA usw.

Ratsvorsitzender Westermann sah das anders: „Es fehlen derzeit rund 1.400 Betten auf Juist, den Betrieben geht es schlecht. Die Gemeinde muss alles tun, um diesen Betrieben zu helfen.“ Außerdem trete die Kommune auch privatrechtlich als Verpächter (Teehuus, Hafenrestaurant usw) auf, die unter Umständen keine Pacht mehr zahlen können. Zudem fehle Kurbeitrag, Gewerbesteuer usw.

Ratsfrau Angela Engel (CDU) nannte die derzeitige Verordnung eine Katastrophe, es herrsche große Unsicherheit bei den Zugangsregelungen und Hotels würden in keiner Weise berücksichtigt. Es sei fraglich, ob Gäste in Ferienwohnungen wirklich ein kleineres Risiko darstellen als Hotelgäste, da diese überall einkaufen und an wechselnden Stellen zum Abendessen gingen. Meint Habbinga (Pro Juist) nannte es in diesem Zusammenhang unfair, dass es für reine Schankbetriebe keine Perspektiven gäbe, dass diese überhaupt mal wieder anfangen können: „Wir müssen all diesen Betrieben ein Signal geben, dass wir als Gemeinde sie unterstützen.“

Auch der Bürgermeister gab den anderen Ratsmitgliedern recht, es wäre sinnvoller gewesen, erst einmal die Betriebe wieder an den Start zu lassen, die viel Personal beschäftigen (Hotels, Pensionen), statt die Zweitwohnungen. Dieser Ansatz der Inseln und Touristikfachleute wurde allerdings völlig ignoriert: „Wir wurden faktisch nicht gehört“. Es liege vielleicht daran, vermutete Goerges, weil Zweitwohnungsleute gleich gegen den Landkreis geklagt hatten und „wer zuerst klagt, kommt zuerst.“ Auch in Mecklenburg-Vorpommern seien ähnlich nicht nachvollziehbare Entscheidungen aufgrund von entsprechendem Druck zustande gekommen.

Antragsteller Gerhard Jacobs legte Wert auf die Feststellung, dass sich sein Ansinnen nicht gegen den Landkreis richtet, der Landrat stehe auch immer nur zwischen den Fronten, sondern es ginge um die höhere Instanz. Die Abwägung Gesundheit und Wirtschaft in der jetzigen Form ginge ihm gegen den Strich, denn das Land unterstelle mit den Verordnungen der ganzen Tourismusbranche und Region die Unfähigkeit, solche Dinge eigenverantwortlich zu regeln. Es müsse nun etwas passieren, denn „die Betriebe gehen am Stock“.

Frank Endelmann (CDU) und Martina Poppinga (SPD) ging der Antrag zu weit, sie wollten nicht gleich den Klageweg öffnen, sondern nur erst mal eine Prüfung. Der Bürgermeister vertrat aber die Ansicht, dass der Rechtsanwalt wohl sehr genau beurteilen könne, ob man wirklich Klage und mit welchen Argumenten einreichen kann. Zudem gäbe es dann noch eine Klageprüfung beim Gericht, ob diese überhaupt stattgegeben würde.

Hotelier Hans Georg Peters vom Hotel „Friesenhof“ fragte in der Einwohnerfragestunde, warum es nicht kommuniziert wurde, dass die anreisenden Gäste ihre ausgedruckten Buchungsbescheinigungen bei der Anreise vorlegen müssen. Das würde die Abfertigung bei der Anreise sehr vereinfachen. Der Bürgermeister gab zu, dass einiges noch nicht rund läuft, zudem sei es nirgendwo so kompliziert mit der Anreise auf die Inseln wie im Kreis Aurich. Auf der Nachbarinsel Borkum, die zum Landkreis Leer gehört, gäbe es zum Beispiel nur ein paar Stichproben.

„Die Regelung, dass Gäste sieben Tage bleiben müsse, macht keinen Sinn, gerade Pfingsten und Himmelfahrt würde nur für drei oder vier Tage gebucht“. meinte ein anderer Vermieter. Er forderte eine Gleichbehandlung der Inseln mit dem Festland. Der Bürgermeister riet dazu, alle Buchungen für sieben Tage zu erstellen, und wenn Gäste dann eher abreisen, dann wäre das eben so. Am ersten Anreisetag hätten einige Gäste die fehlenden Tage kurzfristig nachgebucht und freuten sich über einen verlängerten Urlaub, lediglich ein Gast konnte nicht verlängern und reiste deshalb sofort wieder ab. Zudem gäbe es zahlreiche Ausnahmen, wenn Gäste z.B. wegen einer Hochzeit anreisen (bis zu 20 Personen sind jetzt möglich), dann brauchen sie keine sieben Nächte bleiben, weil eine Hochzeit keine touristische Aktivität sei. Das Problem sei, dass all diese Regeln gänzlich ohne Fachleute für Touristik weit weg von den Inseln erstellt wurden.

Wegen der Datenerfassung von Gästen erhob Martina Poppinga Bedenken hinsichtlich des Datenschutzes. Außerdem wollte sie wissen, wer die ganzen Personalkosten, die durch diesen Verwaltungsaufwand entstehen, zahlt. Auch Gerhard Jacobs sprach sich gegen ein zusätzliches Meldesystem im Landkreis Aurich aus, immerhin gäbe es bundesweit noch den Meldeschein, den jeder Betrieb im Haus haben muss. Auch der Bürgermeister hält die Datenerfassung im Landkreis für völlig überzogen, aber es sei eine Verordnung, die man erfüllen müsse. Zu den Kosten meinte er: „Wir haben wieder alles auferlegt bekommen, werden aber auch hier komplett alleine gelassen.“

Auch viele kleinere Problem sind ungelöst, die Frage der öffentlichen Toiletten sei bisher unbeantwortet geblieben und stelle ein weiteres ungeklärtes Problem dar, so der Bürgermeister. Nun gäbe es in der Region die sonderbarsten Konstellationen, auf Borkum hätte nun die Kurverwaltung ihre Toiletten geöffnet, die der Stadt bleiben geschlossen.

Ohnehin fehlen auch klare Termine, um eine Planungssicherheit zu haben. Goerges: „Mal dürfen Hotels und Pensionen am 25. Mai öffnen, dann wieder am 28. Mai. Egal, wo ich anrufe, ich bekomme keine verbindlichen Auskünfte.“ Hier müssen ebenfalls die Dachverbände wie der Niedersächsische Städte- und Gemeindebund auf mehr verbindliche Zusagen dringen.

Es krachte dann noch tüchtig, als es um die Frage nach einem ermäßigten Gästebeitrag (Kurbeitrag) ging, weil es coronabedingt zahlreiche Angebote derzeit nicht gibt. Hier teilte Bürgermeister Dr. Tjark Georges mit, dass man zusammen mit den anderen Inselbürgermeistern überein gekommen sei, die Beträge in voller Höhe zu kassieren, da bald alles eröffnet sei und angeboten werde.

Das sah Ratsmitglied Angela Engel (CDU), die schon auf der letzten Sitzung eine Mitwirkung bei dieser Frage forderte, ganz anders: „Kommt überhaupt das Kurorchester? Wenn ja, dürften Gäste überhaupt dort sitzen und zuhören?“ Ihre Hauptkritik ging aber in eine andere Richtung: „Die Bürgermeister der anderen Inseln können nicht über die Höhe des Juister Kurbeitrages entscheiden! Das ist ja wohl Sache des Rates!“ Immerhin diskutieren Bäderausschuss und Rat bei jeder Erhöhung um zehn Cent, ob man das dem Gast zumuten könne, da wäre es nur richtig, wenn sich der Rat auch jetzt einen Kopf dazu mache. Sie stelle sich als Ratsmitglied die Frage, ob der Gast das verstehen könne, dass er den vollen Beitrag zahlen müsse. Engel: „Der Gedanke, dass der Rat auch was zu sagen hat, geht dem Hauptverwaltungsbeamten immer mehr ab.“

Unterstützung bekam Engel auch vom Ratsvorsitzenden Björn Westermann (Pro Juist): „Als ich hörte, dass hier andere Bürgermeister entscheiden, wolle ich erst aufstehen und den Raum verlassen! Ich bin hier überflüssig!“ Es könne nicht angehen, dass der Rat nur gefragt werde, wenn es darum ginge, Haushaltslöcher zu stopfen, aber über so wichtige Dinge entscheiden dann Bürgermeister von sechs anderen Inseln.

Der Bürgermeister ging auf die Vorwürfe nicht ein, er stellte vielmehr die Frage nach der Solidarität des Gastes. Immerhin sei alles da, man dürfe es zum Teil derzeit nur nicht anbieten.

Gerhard Jacobs (CDU) bemängelte indirekt auch, dass der Rat zu wenig eingebunden sei, so ist ab jetzt auf Wochen keine Ratssitzung mehr auf dem Sitzungskalender zu finden. Er forderte daher, noch in diesem Monat eine weitere Ratssitzung anzusetzen, wo die Corona-Arbeitsgruppen ihre Ergebnisse vorstellen und diese dann auch im Rat erörtert werden können.

Unser Foto zeigt die aufwändigen Kontrollen bei der Anreise der Fahrgäste aus Norddeich am Dienstagmittag. Hier müssen Gäste ihre Buchungsbestätigung vorzeigen, was zuvor aber nicht von der Kurverwaltung oder vom Landkreis Aurich richtig kommuniziert wurde und was daher schon für viel Ärger gesorgt hatte. Weitere Probleme bringt auch der Notfahrplan mit sich, dessen veränderte Abfahrtzeiten ebenfalls viele Gäste nicht mitbekommen haben.
JNN-FOTO: STEFAN ERDMANN