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Aus der Region: In Deutschland gibt es keine Mittelwellensendungen mehr

Beigetragen von S.Erdmann am 02. Jan 2016 - 00:04 Uhr

Bild 0 von In Deutschland gibt es keine Mittelwellensendungen mehr

Zum Jahreswechsel gibt es immer zahllose Änderungen, Neuerung oder es enden Dinge. Fast unbemerkt endete in der Nacht zum neuen Jahr eine Ära in Deutschland, die 92 Jahre andauerte. Mit der Abschaltung der Mittelwellensender von Deutschlandfunk und "Antenne Saar" vom Saarländischen Rundfunk endete in Deutschland die Zeit der Mittelwelle. Alle anderen ARD-Stationen haben bereits in der letzten Zeit den Sendebetrieb auf der Mittelwelle eingestellt, so dass ab diesem Jahr lediglich der amerikanische Soldatensender AFN (noch) einige kleinere Sender von deutschem Boden aus betreibt.

Begonnen hat alles 23. Oktober 1923 in Berlin mit der ersten deutschen Radiosendung. Gesendet wurde auf der "Welle 400" (759 kHz), also auf der Mittelwelle. Erst später kamen die anderen Rundfunkbereiche wie die Lang- und Kurzwelle dazu, die erste UKW-Sendung gab es erst 1953 vom Bayrischen Rundfunk. Die Mittelwelle hat den Vorteil, dass man mit ihr große Entfernungen zurücklegen kann, insbesondere in den Nachtstunden, denn dann veränderten sich die Empfangsbedingungen in der Atmosphäre. Das wurde in unterschiedlicher Weise genutzt, so sendete das NS-Regime über den "Großrundfunksender Osterloog" in Norddeich entsprechende Propaganda gen England, denn gerade über Wasser breitet sich die Mittelwelle sehr gut aus. Der Deutschlandfunk hatte die Aufgabe, die Bürger der DDR über alle Dinge der BRD zu informieren, wozu man entlang der Zonengrenze starke Mittelwellensender mit einer Abstrahlung in östliche Richtungen errichtete. In Norddeutschland standen diese in Braunschweig und Neumünster, und sie wurden ebenfalls bis zum 31. Dezember 2015 eingesetzt.

Deutschlandfunk und Saarländischer Rundfunk folgen einer Empfehlung der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs (KEF). Denn nur wenn das Alte weicht, darf das Neue kommen: Die Kommission hat den Rundfunkanstalten die finanziellen Mittel für die neue Übertragungsart Digitalradio genehmigt, dafür aber das Ende der Mittelwelle verlangt. Die Ersparnis ist enorm, denn die Mittelwelle erfordert starke Sendeleistungen. Der Bayerische Rundfunk beispielsweise spart seitdem rund 300.000 Euro jährlich an Stromkosten. In Zeiten des Kalten Krieges ließen sich diese Kosten rechtfertigen, um Hörer jenseits des eisernen Vorhangs zu versorgen, doch seit den 90er Jahren gibt es ein Umdenken. Auch war der Höreranteil auf der Mittelwelle wegen der verbesserten UKW-Netze, Kabelradio und neuen digitalen Übertragungswegen sehr stark gesunken.

Auch andere Länder wie Österreich oder die Schweiz haben ihre Mittelwellennetze bereits vollständig abgeschaltet, die Niederlande haben eine ganze Reihe ihrer leistungsstarken Sender im vergangenen Jahr außer Betrieb genommen. Und in der Silvesternacht gingen nicht nur die letzten deutschen Sender aus dem Äther, sondern auch der wohl bekannteste Mittelwellensender in Europa: Radio Luxembourg. Dieser Vorläufer von RTL-Radio hatte in seiner Hochzeit in den 60er und 70er Jahren in Deutschland mehr als 20 Millionen Hörer, durch entsprechende Werbeeinnahmen ließ sich damals der Sender in Marnach mit einer Leistung von bis zu 1.200 Kilowatt auf der Frequenz 1.440 kHz gewinnbringend betreiben.

In Ostfriesland als Randgebiet Deutschlands galten zum Teil eigene Gesetze. Während es eben Millionen Hörer von Radio Luxembourg vor allem in Nordrhein-Westfalen und Rheinland-Pfalz gab, war der Sender hier tagsüber kaum zu hören, erst mit beginnender Dunkelheit kam der "durch". Dann gab es ein englisches Programm, welches aber in ganz Nordeuropa Kultstatus genoss. Die Mittelwellensender des NDR, die ebenfalls im Vorjahr abgestellt wurden, spielten auch hier keine Rolle, seitdem die Sendungen in Aurich über UKW ausgestrahlt wurden. Großer Beliebtheit erfreute sich das Programm "Hansawelle" (später "Bremen Eins"), welches von Radio Bremen auf der Mittelwelle 963 kHz ausgestrahlt wurde. Der Sender wurde bereits im April 2010 außer Betrieb genommen. Ebenfalls gut empfangbar und besonders bei jungen Leuten beliebt war das amerikanische Programm "AFN Bremerhaven" auf 1.143 kHz. Er galt als der erfolgreichste Soldatensender der Welt, wegen dem Abzug der amerikanischen Streitkräfte schweigt AFN Bremerhaven aber seit dem 31. März 1993.

Ab der Dunkelheit waren auch hier auf Juist die öffentlich-rechtlichen Sender alle deutschen Bundesländer zu hören, ebenso die Mittelwellensendungen vom RIAS Berlin, Sender Freies Berlin und der damaligen DDR. Der Saarländische Rundfunk nahm dabei eine besondere Stellung ein. Den ARD-Stationen als damals einzige Rundfunkanbieter in Deutschland war die über alle Maßen erfolgreiche Konkurrenz aus Luxemburg nämlich ein Dorn im Auge. Sie beschlossen daher, als deutsches Gegenstück einen Sender in Heusweiler ebenfalls mit 1.200 kW zu betrieben. Das Programm "Europawelle Saar" erfreute sich großer Beliebt- und Bekanntheit, zumal man für das Projekt namhafte Moderatoren wie Manfred Sexauer und Dieter Thomas Heck verpflichten konnte. Auch der Hessische Rundfunk sendete aus Rodgau-Weiskirchen mit immerhin 1.000 kW, womit er bis weit in die DDR hörbar war. HR schaltete bereits am 31. Dezember 2009 den Sender ab.

Eine große Ära auf der Mittelwelle begann in den 60er Jahren mit dem Aufkommen der Popmusik, die damals noch Beatmusik hieß. Für dieses Musikgenre hatten die öffentlich-rechtlichen Sender kaum Platz eingeplant, und bei Radio Luxemburg lief tagsüber damals noch ein Schlagerformat. Mit Unterstützung der Plattenindustrie ("Musik wird nur verkauft, wenn sie auch gespielt wird") begannen begeisterte Radiomacher nun, Sender, Antennen, Generatoren und Studios auf Schiffen oder vor England auch auf ausgedienten Marienforts zu installieren, um die von der Jugend gewünschte Beatmusik außerhalb der staatlichen Hoheitsgebiete rund um die Uhr zu spielen. Bis auf wenige Ausnahmen wurde hierzu die Mittelwelle verwendet, die sich eben über das Wasser hervorragend ausbreitet, so dass diese Sender auch in Norddeutschland gut hörbar waren. Zu den bekanntesten dieser Sender, die eine Millionenhörerschaft hatten, gehörten vor Englands Küste "Radio Caroline" und "Radio London" und vor den Niederlanden "Radio Veronica", Radio Nordsee International" und später auch "Radio Mi Amigo". In den 80er Jahren endete diese Ära, weil man die Gesetzeslücken für die Sender geschlossen hatte und der nun aufkommende Privatfunk an Land Werbekunden und Hörer gleichsam für sich vereinnahmte.

Mittelwellenempfang stellte Hörer zeitweise vor Herausforderungen. Da wurde justiert, das Kofferradio oder die eingebaut Ferritantenne gedreht, um den gewünschten Sender aus einem Salat mit anderen Stationen oder Störungen herauszufiltern. So gab es in den 50er und 60er Jahren Röhrenempfänger, die eine sogenannte gespreizte Mittelwelleneinstellung hatten, d. h. es stand der doppelte Skalenbereich zur genauen Einstellung zur Verfügung. Wohl jeder erinnert sich noch an die großen Senderstandorte, die auf den Glasskalen eingedruckt waren, wie etwa Hilversum, Bremerhaven, Lopik, Beromünster, Sottens oder Brussel. Grundig baute in den 70er Jahren eine Kofferradioserie mit einer extra Radio-Luxembourg-Taste.

Ostfriesland verfügte von 1939 bis 1964 über Mittelwellensender in Osterloog. Dieser befand sich direkt neben dem heutigen FLN-Flughafen Norddeich. Erst unter dem Namen "Sender Bremen" (das NS-Regime wollte damit den Standort des Senders verschleiern und ihn so vor Luftangriffen schützen), nach dem Krieg erst als britischer Soldantensender BFN, später sendete die BBC von dort und zuletzt der NWDR (Nordwestdeutscher Rundfunk, der sich später in NDR und WDR teilte). Ab 1964 kam die Seefunkstation "Norddeich Radio", die aber in anderen Bereichen (Grenzwelle, Kurzwelle und für den Nahbereich UKW) tätig war. 1998 wurde der Betrieb der Seefunkstation eingestellt, der 133 Meter hohe Hauptfunkmast fiel bereits am 8. November 1997. Das Sendegebäude steht heute noch nahezu unverändert, die Sendeanlagen wurden aber komplett entfernt.

Eingesetzt wird die Mittelwelle heute überwiegend noch in großflächigen Ländern mit dünner Besiedlung oder ungünstigen geographischen Bedingungen (Gebirge), wo ein flächendeckendes UKW-Netz zu aufwändig ist und in den USA, wo es für Sendeformate, bei denen es nicht auf HIFI-Qualität ankommt (Talkshows, Nachrichten usw.), weiterhin gerne benutzt wird. Im dicht besiedelten Euro wird die Mittelwelle aber wohl irgendwann ganz Geschichte sein.

Unsere Fotos zeigen ein altes Röhrenradio, wo auf der Mittelwelle der Hessische Rundfunk mit seinem Sender in Frankfurt/Hohen Meißner auf 594 kHz gehört wird. Ein weiteres Foto zeigt die beliebten QSL-Karten, welche die Sender auf Wunsch an Hörer versenden. Alle Sender, von denen die abgebildeten Karten stammen, wurden auf Juist gehört. Das nächste Foto zeigt das Sendeschiff "Norderney", von dem aus "Radio Veronica" bis 1974 sendete, ebenfalls auf der Mittelwelle. Die weiteren vier Repros zeigen Sticker von Radio Luxembourg, dem Saarländischen Rundfunk und dem Deutschlandfunk. Der Sender auf 1.269 kHz hatte seinen Standort in Neumünster und war im Bereich der deutschen Nord- und Ostseeküste gut zu empfangen. Besonders für die Schifffahrt war dieser Sender von Bedeutung, weil hier die Seewetterberichte ausgestrahlt wurden.
JNN-FOTOS und REPROS: STEFAN ERDMANN

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