Da die Thematik der gerechten Vergütung der Notarzttätigkeiten der beiden Inselärzte Dr. Paul Okot-Opiro und Dr. Martin Birkenfeld, im Sinne der Gleichstellung mit den Notärzten am Festland, längst zum politischen Thema geworden ist (JNN berichtete bereits), haben sich die beiden Ärzte zur Unterstützung und Mithilfe mit einem Brief an Landrat Olaf Meinen und den Kreistag in Aurich gewendet und zudem eine Unterschriftenaktion gestartet. Zudem bemängeln die beiden Inselärzte, dass bisher noch keinerlei Stellungnahmen zu dem Problem aus dem Juister Rathaus gekommen ist.
Hier das Schreiben an den Landrat und den Kreistag in Aurich, das JNN zur Veröffentlichung als Information über die derzeitige Situation erhalten hat:
Sehr geehrter Herr Meinen, sehr geehrter Herr Behrends,
wir, die auf Juist tätigen Notärzte wenden uns heute an Sie mit der Bitte zur Mithilfe und Unterstützung, eine gerechte Vergütung für uns als im Rettungsdienst Juist tätigen Notärzte, im Sinne der Gleichstellung, durch den Landkreis Aurich, zu erreichen. Die Sicherstellung der Notfallrettung bzw. der Notfallversorgung im Rettungsdienst ist die Aufgabe des Landes – für Aurich also das Land Niedersachsen. Diese Aufgaben der Notfallversorgung werden wiederum an die Landkreise verteilt, die diese an die unterschiedlichen Versorgungsstrukturen anpassen.
Die Kassenärztliche Vereinigung sichert durch die Vertragsarztpraxen lediglich die allgemeine Patientenversorgung durch die Praxissprechstunden und den kassenärztlichen Bereitschaftsdienst. Wichtig ist, zu unterscheiden, dass der Vertragsarzt nicht automatisch Teil des Rettungsdienstes ist, auch wenn er die Qualifikation eines Notarztes besitzt. Durch die besondere Situation auf der Nordseeinsel Juist, wo nicht explizit Notärzte stationiert sind, haben wir Inselärzte uns, um die notärztliche Versorgung der Insel zu sichern, bereit erklärt, hier u.a. auch die notärztliche Versorgung im Rettungsdienst, koordiniert durch den Landkreis Aurich, mit zu übernehmen.
Seit Jahren fordern wir eine gerechte Bezahlung unserer Tätigkeit als Notarzt im Rettungsdienst auf der Insel Juist. Hier geht es um die Gleichstellung der Vergütung unserer notärztlichen Tätigkeit im Rettungsdienst analog zu den Notärzten am Festland. Im Vergleich zu den Notärzten am Festland, die 40 bis 60 Euro pro Stunde vergütet bekommen, erhalten wir nur eine Tagespauschale von 50 Euro täglich, für einen 24-Stunden-Dienst, ohne Berücksichtigung unserer Tätigkeiten an Wochenenden und Feiertagen sowie der Nachtschichten. Pro Einsatz wird zwar eine Einsatzpauschale gezahlt, diese fällt aber immer gleich aus, unabhängig davon, ob der Einsatz tagsüber oder nachts, am Wochenende bzw. Feiertagen stattfindet. Diese Einsatzpauschale steht aber in keinem Vergleich zum Aufwand und fällt im Winterhalbjahr zu Saisonende, auch so gut wie weg. An dieser Stelle kurz der Hinweis, dass in allen Berufsgruppen die Nacht,- Wochenend-, und Feiertagsarbeit höher vergütet wird, als die reguläre Arbeitszeit. Unsere Verträge mit dem Rettungsdienst des Landkreises berücksichtigen u.a. auch nicht unsere Unkosten, die in Verbindung mit unserer Notarzttätigkeit entstehen. Wir müssen unser eigenes Fahrzeug stellen und noch dazu Gebühren zum Befahren der Straßen auf Juist, sowohl an den Landkreis als auch an die Inselgemeinde Juist, zahlen. Ebenso erhalten wir keine Aufwandsentschädigung für die Fahrzeugversicherung, Kraftstoff, TÜV usw.
Auch ein externer Notarzt, der auf Juist im Rettungsdienst Vertretung gemacht hat, erhielt vom Landkreis Aurich eine Vergütung von 50 Euro pro Stunde plus Einsatzpauschale, also quasi das 24-fache an Vergütung, was wir auf Juist bekommen. Hier fragt man sich, wo bleibt die Gleichbehandlung und die Gerechtigkeit gegenüber uns beiden Ärzten? Warum macht der Rettungsdienst des Landkreises Aurich in seiner Begründung einen Unterschied zwischen der Notfallversorgung auf dem Festland und der, die auf der Insel erfolgt. Selbst wenn es einen Unterschied gäbe, warum fällt die Vergütung, für die gleiche Tätigkeit auf der gleichen Insel so unterschiedlich aus? Hier steht schon lange eine Erklärung des Rettungsdienstes des Landkreises Aurich aus. Warum diese nicht erfolgt, zieht wiederum weitere Fragen nach sich. Will man uns wegrationalisieren oder haben die Verantwortlichen des Rettungsdienstes keine Wertschätzung für diese anspruchsvolle und schwierigen Aufgaben der Notfallrettung auf Juist, oder spielen gar andere Gründe, die unsere Person betreffen, eine Rolle? Die Verantwortlichen des Rettungsdienstes des Landkreis Aurich Herr Schäfer, Herr Davids und Herr Arends sehen keine Notwendigkeit, unsere Verträge zu ändern, sogar schreibt uns Herr Schäfer unsere Verträge aufzuheben. Die von uns aufgezeigten Missstände und Probleme im Rettungsdienst will man ebenfalls nicht hören. Man möchte uns „wegrationalisieren“ und den Rettungsdienst zukünftig am liebsten ohne Notarzt d.h. nur mit den Rettungssanitätern „fahren“. Dies bedeutet, die Sanitäter sollen die Lebensrettung übernehmen -ganz ohne Notarzt.
Soweit lassen wir es nicht kommen, hört man schon von vielen Insulanern, Zweitwohnungsbesitzern und Stammgäste, die nur noch mit den Köpfen schütteln, als sie von den Problemen der Inselärzte mit dem Landkreis erfuhren. Sie zeigen Solidarität und versichern einen starken Rückhalt zu geben. Einen Rettungsdienst ganz ohne Notarzt kann sich hier keiner vorstellen. Der Landkreis Aurich sollte sich überlegen, ob er nicht auf unser Vertragsangebot eingeht. Ansonsten sieht es wegen des Ärztemangels, der zweifelsohne besteht, schlecht aus mit der Notarztversorgung auf Juist– und die nächste ausgebuchte Sommersaison rückt langsam näher. Es geht nicht nur um die Notärzte, sondern auch um die kompetente medizinische Notfallversorgung, die aufgrund des jetzt schon bestehenden Ärztemangels, nicht mehr selbstverständlich sein wird. Warum versucht der Landkreis Aurich, uns, die hier ansässigen und eingearbeiteten Notärzte, die mit der Situation und medizinischen Versorgung auf der Insel Juist schon lange vertraut sind, nun loszuwerden? Kosten sparen versus Leben retten? Wir hätten uns eine interne Lösung gewünscht. Doch nach jahrelanger Hinhaltetaktik bleibt uns nun keine andere Wahl, als sich an die Öffentlichkeit zu wenden. Jetzt ist die Politik gefragt. Gelten die Gleichheitssätze bzw. Diskriminierungsgesetze nicht auch für den Rettungsdienst im Landkreis Aurich? In Niedersachsen regiert die SPD, in deren Parteiprogramm u.a. die soziale Gerechtigkeit steht. Wir wenden uns an Sie, mit der Bitte um Unterstützung für eine gerechte Vergütung unserer Notarzttätigkeit. Dies könnte den Konflikt beenden und die Einleitung weiterer Schritte verhindern, denn die geschilderte Problematik und Situation ist längst zum politischen Thema geworden. Ein gemeinsames Gespräch mit Ihnen würden wir sehr begrüßen.
Für Rückfragen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Dr. med. M. Birkenfeld Dr. med. P. Okot-Opiro
Wir erhielten dann noch weitere Informationen von den beiden Ärzten:
Die Sicherstellung der Notfallrettung durch unsere Praxen verläuft ähnlich wie in den Krankenhäusern. Im Unterschied zu den Krankenhäusern, stellen wir keinen unserer Mitarbeiter für den Rettungsdienst frei, sondern wir sind direkt an der Notfallrettung beteiligt. Die Notfallrettung ist immer vorrangig. Sie steht über der normale Patientenversorgung in der Praxis oder im Bereitschaftsdienst der Kassenärztlichen Versorgung. Es geht hier um die Rettung von Menschenleben, das heißt, hier muss sofort und unmittelbar gehandelt werden. Dies bedeutet konkret aber auch, dass wir in der Zeit der Notfallversorgung die vertragsärztliche Versorgung verschieben, später nachholen oder uns gegenseitig vertreten müssen.
Wir Juister Ärzte arbeiten je 180- 200 Tage im Jahr im 24-Stunden-Dienst. Die Geschäftsführung des Landkreises des Rettungsdienstes spricht hier von einer Nebentätigkeit. Wenn man über die Hälfte des Jahres im 24-Stunden-Dienst steht, erübrigt es sich, von einer Nebentätigkeit zu sprechen. Auch in den Krankenhäusern, die die Ärzte für die Notfallrettung zur Verfügung, stellen, spricht man nicht von einer Nebentätigkeit. Die Ärzte vom Krankenhaus bekommen außerhalb ihrer „Nebentätigkeit“, wenn der Landkreis dies gerne so nennen möchte, die Stunden auch vollständig vergütet, warum also nicht wir, die als Notärzte im Rettungsdienst voll in Anspruch genommen werden. Warum ist man nicht bereit, uns für die Ausfallzeiten in der Praxis, während wir im Notarzteinsatz sind, zu entschädigen?
Juist ist ein Urlaubsort und somit ist der Verdienst für die Notärzte größtenteils auch saisonabhängig. Die Saison erstreckt sich von Mai bis Ende Oktober, also insgesamt sechs Monate. Im Winterhalbjahr fällt die Einsatzpauschale so gut wie weg, weil kaum Urlauber auf der Insel sind und viele Insulaner selbst in den Urlaub fahren. Das heißt, bei voller Einsatzbereitschaft und erheblich eingeschränkter Lebensqualität, durch das „ständige bereithalten müssen“, liegt der Verdienst bei 50 Euro für 24-Stunden. Zieht man die Steuern ab, gehören wir zu den „1-Euro-Jobbern“. Der Landkreis bot uns 60 Euro pro Tag und zehn Euro mehr pro Einsatz an. Dies macht eine Vergütung von zehn Euro mehr pro Tag aus. Dies kann man nur mit einer Abwertung unserer notärztlichen Tätigkeit und auch unserer Person deuten. Diese Erhöhung von, sage und schreibe 10 Euro wurde von uns abgelehnt. Es geht nicht nur um die Notärzte, sondern auch um die kompetente medizinische Notfallversorgung, die aufgrund des jetzt schon bestehenden Ärztemangels, nicht mehr selbstverständlich ist.
Die ungerechte Vergütung und die unmenschlichen Arbeitsbedingungen sind u.a. Teile des Ärztemangels. Die jungen ärztlichen Kollegen sind nicht mehr bereit, komplett auf ihre Freizeit zu verzichten und würden auch nicht für diese geringe Vergütung arbeiten. Leidtragenden dieses Systems werden leider immer die Patienten sein. Ob man bei dem bestehenden Ärztemangel überhaupt einen Notarzt findet, der bereit ist 365 Tage im Jahr, Tag und Nacht, Wochenenden und Feiertage für das gleiche Geld - nämlich 50 Euro für 24 Stunden - zuarbeiten, sei dahingestellt.
Deutschland gilt immer noch als ein Land mit hervorragender medizinischer Versorgung. Deshalb blicken unsere Nachbarländer mit Neid auf uns. Doch dieser Zustand droht zu kippen, man hört vom drohenden Zusammenbruch im Gesundheitswesen wegen Personalmangel. Die Politiker reisen ins Ausland, um für neue Arbeitskräfte im medizinischen Bereich zu werben. Es besteht die Tendenz im Rettungsdienst (unter gGmbH Führung), die Notfallrettung durch die Notfallsanitäter zu ersetzen, weil dies finanziell günstiger ist, als die Beschäftigung eines Notarztes.
Auf dem Festland wird dies schon teilweise so praktiziert und auch hier auf der Insel gibt es bereits eine Tendenz in genau diese Richtung. Oft überschreiten viele Notfallsanitäter mit dieser Vorgehensweise schon jetzt, gerade auf dem Festland, ihre Kompetenzen – damit bewegen sie sich auf einem schmalen rechtlichen Grad. Zum Glück - für den Patienten - ist auf dem Festland der Weg vom Notfallort bis zum nächstgelegenen Krankenhaus oft nicht weit. Auf Juist ist das nicht praktikabel und somit undenkbar, aufgrund der oft sehr langen Wartezeiten bis ein geeignetes Transportmittel für die Notfallrettung zur Verfügung steht. Es ist hier also unausweichlich, dass der Patient in dieser Zeit notärztlich behandelt werden muss. Die Notfallrettung allein nur den Notfallsanitätern zu überlassen wäre ein Fehler.
Wir bitten Sie, an die Geschäftsführung des Rettungsdienstes Landkreis Aurich (Herrn Schäfer und Herrn Davids), zur weiteren Klärung der Angelegenheit, folgende Fragen zu stellen: Warum bezahlt der Landkreis dem Vertretungsnotarzt auf Juist 50 Euro pro Stunden plus die Einsatzpauschale und uns Juister Notärzten nur 50 Euro pro Tag plus Einsatzpauschale? Warum nimmt der Landkreis Aurich unser neues Angebot nicht an? Arbeiten wir für den Rettungsdienst des Landkreises Aurich ganzjährig oder nur in unsere Freizeit als „Nebentätigkeit“? Wie wird das Krankenhaus für die Zeit, für die sie die Notärzte abstellen für den Rettungsdienst, bezahlt? Es stellt sich auch die Frage, ob die jetzige Geschäftsführung für diese komplexen Aufgaben im Rettungsdienst des Landkreises Aurich geeignet und kompetent genug sind. Bei jeglicher Problemlösung auf Juist reagiert Herr Schäfer entweder nicht oder unangemessen. Die Inselärzte bitte in einer Unterschriftenaktion ihre Patienten, Insulaner, Zweitwohnungsbesitzer ebenso wie alle Gäste, um Mithilfe zur Durchsetzung der Gleichstellung der Vergütung mit den Notärzten am Festland, damit sie weiterhin als Notärzte für die Notfallrettung auf Juist zur Verfügung stehen. In den Praxen werden dafür demnächst Unterschriftenlisten ausliegen. Wir möchten gerne weiterhin auf Juist für alle Einwohner und Gäste unsere Tätigkeit als Notärzte ausüben, bei gerechter und gleicher Vergütung, wie unserer Kollegen am Festland.
TEXT: Dr. med. MARTIN BIRKENFELD und Dr. med. PAUL OKTO-OPIRO
Anmerkung der Redaktion:
Es handelt sich hier ausschließlich um die Darstellung der Situation aus Sicht der betroffenen Ärzte, die diesen Text auch selbst verfasst haben. Im Gegensatz zu den Inselzeitungen der Nachbarinseln hat JNN kein Redaktionsteam, welches sich um die Einholung der Meinung z.B. vom Landkreis, Gemeinde usw. kümmern kann. Sollte sich von deren Seite jemand ebenfalls dazu äußern wollen, stellen wir selbstverständlich hier auch gerne den nötigen Platz zur Verfügung.