Was der DRK-Kreisverband Leer in den letzten Wochen erlebte, wo zahlreiche Enthüllungen über große Mißstände schließlich zum Fall des dortigen Kreisgeschäftsführers führte, zeichnet sich auch auf kleinerer Ebene, nämlich im DRK-Ortsverband der Insel Juist ab. Massiv fordern hier nämlich die beiden Inselärzte Paul Okot-Opiro und Martin Birkenfeld die Abwahl von DRK-Vorsitzenden Hans-Ludwig de Vries. Am vergangenen Wochenende berichteten der in Norden erscheinende „Ostfriesische Kurier“ und als erstes die Oldenburger „Nordwest-Zeitung“ ausführlich.
Die ganze Sache eskalierte wohl schon im März, als de Vries einen 35jährigen Rettungssanitäter zum 30. April gekündigt hatte, was die beiden Inselärzte so nicht hinnehmen. Grund sei „Unterlassene Hilfeleistung“ gegenüber einer erkrankten Juisterin gewesen. Diesen Vorwurf bezeichnen die beiden Inselärzte als hanebüchen, daher wandten sie sich an Bürgermeister, Gemeinderat und Landkreis Aurich, damit über die zukünftige Organisation beraten werden kann. Da inzwischen mehrere kompetente Mitarbeiter gekündigt wurden oder selbst das Handtuch geschmissen hatten, sehen die Ärzte dringenden Handlungsbedarf. „Es ist so schwer, gute Leute zur Insel zu bekommen. Wir können es uns nicht leisten, in einer Tour diese für die Insel so wichtigen Rettungssanitäter zu verlieren,“ so Paul Okot-Opiro gegenüber JNN. Das Vertrauen beider Ärzte in den DRK-Chef sei restlos erschüttert. „Wir wollen nicht unter die Gürtellinie schießen,“ so der Mediziner weiter. Aber er sieht nur eine Lösung: „Der Mann muss weg.“
Auch Dr. Martin Birkenfeld stellte gegenüber dem „Ostfriesischen Kurier“ klar: „Das geht so nicht weiter! Das ist auch keine Sache, die nur das DRK angeht. Es geht um die Sicherheit der Einwohner und Gäste.“ Die Insel sei tideabhängig, im Fall eines Falles müssten da alle Abläufe stimmen. Es sei sehr schwierig, immer wieder neue Sanitäter in das komplexe Notfallsystem einzuarbeiten.
Beide Ärzte sind sich einig: „Der gekündigte Mitarbeiter hat sich bei dem Notfall korrekt verhalten und nichts zuschulden kommen lassen. Es ist ein sehr guter Notfallsanitäter, den wir als Notärzte hier sehr schätzen und nicht missen wollen.“ Erschwerend kommt hinzu, dass ein weiterer Notfallsanitäter aus Solidarität mit seinem geschassten Kollegen die Brocken geworfen und seine Kündigung eingereicht hat. Und ein weiterer hat gegenüber dem Kurier angedeutet, auch er überlege, die Insel zu verlassen.
Der Beschuldigte wies indes alle Vorwürfe auf Nachfrage der Zeitung zurück. Er sei nach wie vor der Ansicht, der Mitarbeiter hätte einen Fehler gemacht, zudem könne von einer Vielzahl von Kündigungen nicht die Rede sein. In seiner Amtszeit habe es nur eine Kündigung gegeben. De Vries: „Auf einer Insel ist außerdem immer eine gewisse Fluktuation.“ Laut Recherchen vom Kurier habe es in den letzten vier Jahren beim DRK Juist drei gefeuerte Rettungssanitäter gegeben, andere hätten von sich aus dem Juister Ortsverein zermürbt die Brocken vor die Füße geworfen.
Ob und wie der Landkreis Aurich als Auftraggeber des DRK auf die Sache reagiert, ist im Moment nicht bekannt. Zudem gibt es noch eine weitere Baustelle, denn auch der Gemeinderat hatte aufgrund des Brandbriefes der Ärzte über diese Personalie auf einer nichtöffentlichen Sitzung gesprochen. Am nächsten Tag erfragte Ratsmitglied Jan Doyen-Waldecker auf der DRK-Wache den Namen des gekündigten Mitarbeiters, was zur Folge hatte, dass der DRK-Vorsitzende kurz danach zu Doyen-Waldecker ins Haus ging und ihn dort zur Rede stellte.
Was dort genau passiert ist, konnte auch die NWZ, die sich besonders intensiv mit dieser Sache beschäftigt hatte, nicht klären, da sie Aussagen sehr widersprüchlich sind. Während des Rausgehens soll de Vries dem sehr viel älteren Doyen-Waldecker mit dem Ellbogen geschlagen habe. Das zumindest behauptet dieser und hat Anzeige wegen Körperverletzung und Hausfriedensbruch erstattet. Dieser Darstellung widersprach de Vries gegenüber der NWZ, es sei ein Fehler gewesen, in das Haus zu gehen, handgreiflich sei er aber nicht geworden.
Dr. Martin Birkenfeld untersuchte Doyen-Waldecker nach dem Streit und ließ ihn zur weiteren Untersuchung sicherheitshalber per Hubschrauber in das Krankenhaus Aurich fliegen. Eine endgültige Auswertung der Untersuchungsergebnisse steht bislang aber noch aus. Der DRK-Chef dazu gegenüber dem Kurier: „Dass die Inselärzte den gleich ausfliegen lassen, spricht für sich.“
Der Landkreis Aurich ist nun gefordert, eine Lösung zu finden, denn für die beiden Inselärzte steht fest, dass es für sie keine gemeinsame Zusammenarbeit mehr geben wird. Immerhin will die NWZ sogar erfahren haben, dass die Polizei de Vries untersagt habe, die Juister Arztpraxen zu betreten oder sich den Ärzten zu nähern.
QUELLENNACHWEIS: NORDWESTZEITUNG/MOIN OSTFRIESLAND vom 16.04.2021 und OSTFRIESISCHER KURIER vom 17.04.2021
JNN-FOTO: RETTUNGSDIENST JUIST