Der Juister Ehrenbürger und Pädagoge Hans Kolde ist seit der Gründung der Juist-Stiftung 2006 Mitglied im Rat der Bürgerstiftung. Er wurde vor zwei Jahren für sein fortwährendes Engagement als „Botschafter“ der Juist-Stiftung geehrt. Stiftungsratsmitglied Heinz Alenfelder nahm den ausgefallenen Osterurlaub zum Anlass, ein Telefon-Interview zur aktuellen Lage mit diesem Zeitzeugen zu führen, der auf 95 Lebensjahre zurückblickt.
Alenfelder: Zurzeit werden die älteren Menschen ja pauschal als Risikogruppe betitelt. Du, Hans, ragst als Hochbetagter nochmal aus dieser Gruppe heraus. Wie geht es dir damit?
Kolde: Nun ja, meine gesundheitliche Situation ist mittlerweile sehr angespannt und ich muss mit starken Schmerzen leben. Die Corona-Einschränkungen haben natürlich auch für mich Auswirkungen, denn ich will die sozialen Kontakte nicht abreißen lassen. Andererseits haben die Lockerungen auch ihre Haken und Ösen und man muss sehr vorsichtig sein. Ich versuche aber, die Situation so leger wie es geht zu nehmen.
Alenfelder: Noch ist auf Juist keine Infektion bekannt geworden. Woran kann das liegen? Was ist auf Juist anders als sonstwo in Deutschland?
Kolde: Ich schätze, dass auf der einen Seite die rigide Befolgung der Restriktionen, die Einschränkungen der Schifffahrt und des Flugverkehrs ihren Anteil hat. Auf der anderen Seite haben aber sicher auch die klimatischen Bedingungen, das gesunde Klima Juists einen positiven Einfluss. Immerhin kommen ja viele Menschen mit Atemwegserkrankungen zur Kur nach Juist – aber das ist nicht durch Studien belegt.
Für die nahe Zukunft kommt es jetzt natürlich darauf an, wie man mit Lockerungen umgeht. Seitens der Insulaner läuft das aus meiner Sicht gut.
Alenfelder: Hast du in deinem langen Leben so etwas schon einmal erlebt? Womit lässt sich die Situation vergleichen?
Kolde: Was die Krankheit angeht, so habe ich so etwas auch noch nicht erlebt. Ich vergleiche die Situation aber mit dem Kriegsende 1945. Damals war ich 20 Jahre alt und habe sehr bewusst die massiven Einschränkung persönlicher Freiheiten durch die Besatzungsmacht erlebt. Die Ausgangssperre ab 21 Uhr. Die rigiden Formen des Umgangs mit den Menschen, die Zwänge damals, das ist durchaus mit der heutigen Situation vergleichbar.
Hinzu kamen allerdings die Hungersnöte bis 1947, der gräßliche Winter 1946/47 mit minus 20 Grad, dem zugefrorenen Wattenmeer und der Zerstörung des Anlegers.
Alenfelder: Deutschland steht zurzeit Kopf, die Welt steht Kopf. Wie soll das weitergehen?
Kolde: Gute Frage! Mit Sicherheit ist es nicht möglich, dass es nach der Krise mit „Business as usual“ wie vor Januar 2020 weitergeht! Es wird Veränderungen geben. Ich denke, jeder wäre jetzt gut beraten, sich Gedanken darüber zu machen, ob er zu alten Gewohnheiten zurückkehren will. Denn die Situation hat sich ja entwickelt, wie auch der Klimawandel zeigt. Die Ausweitung von Auto- und Flugverkehr, darüber wird jeder im Zusammenhang mit Zukunftsperspektiven nachdenken müssen.
Was das Virus angeht, ist es schwer zu sagen, das wird eine Frage des Umgangs mit den Lockerungen sein.
Alenfelder: Und die Stiftung? Was können Insulaner und Festländer, was können Stifter und Stifterinnen tun?
Kolde: Mit der Stiftung ist es wie mit allen anderen Menschen: Ich denke, wir müssen uns in vielen Dingen ändern, oft auch in kleinen Bereichen. Wir müssen die eigenen Verhaltensweisen auf den Prüfstand stellen und uns fragen: Bin ich achtsam genug? Übernehme ich meine Mitverantwortung? Solche Fragen kommen auf uns zu.
Ich blicke als ein Zeitzeuge ja jetzt auf 75 Jahre seit dem Kriegsende zurück. Und als denkender Mensch frage ich mich: Was kann unsere Gesellschaft tun? Und ich komme zum Schluss: Auch sie muss sich ändern! Corona ist eine Warnung an die Menschheit.
Alenfelder: Hans, vielen Dank für das Interview. Und wie es heute so schön heißt: Bleib gesund!
Das Interview mit Hans Kolde, führte Heinz Alenfelder, Stiftungsratsmitglied aus Köln.
Das Archiv-Foto zeigt Hans Kolde beim 60jährigen Flugplatz-Jubiläum im Jahr 2014.