Das legendäre Radioschiff "Norderney" wird demnächst den Hafen von Groningen nach genau einem Jahr wieder verlassen. Seinen neuen und wohl endgültigen Standort wird das Schiff, von dem aus bis Ende August 1974 die Programme des populären Seesenders "Radio Veronica" von der Nordsee ausgestrahlt wurde und für dessen Namen unsere Nachbarinsel "Norderney" Pate stand, in Amsterdam finden.
Im März 2010 berichtete JNN nach dem Tod von Veronica-Direktor Hendrik "Bull" Verweij über das Schiff, das zu dem Zeitpunkt bereits seit einigen Jahren im belgischen Antwerpen als Cafe lag, wo sich sein Zustand verschlechterte. Lange gab es Bestrebungen, diesen Teil der Niederländischen Radiogeschichte wieder zurück zu holen, im vergangenen Jahr kam dann endlich Bewegung in die Sache. Eric de Zwart, ein ehemaliger Mitarbeiter von Veronica, steht hinter dem Projekt. Mittels zweier Schlepper (der eigene Antrieb wurde seinerzeit ausgebaut, um Platz für den Mittelwellensender und die Generatoren zu schaffen) wurde das Schiff nach Groningen überführt, wo ein Umbau und eine Generalüberholung derzeit noch im Gange sind. Das Schiff macht jetzt einen ganz hervorragenden Eindruck und sieht wieder unverändert wie in seiner großen Seesenderzeit aus. Unter anderem wurden die beiden Sendemasten und Antennenabspannungen wieder originalgetreu aufgesetzt.
Man ist allerdings vier Monate im Verzug, weil die Gemeinde Amsterdam, wo das Schiff einen Platz an der Ij erhält, zusätzliche Auflagen machte. So soll das Schiff jetzt anders herum an seinem Liegeplatz verankert werden als ursprünglich angedacht, dieses macht den Einbau von zusätzlichen Fluchttüren auf der Steuerbordseite erforderlich. Was genau de Zwart mit dem ehemaligen Fischtrawler plant, ist noch geheim, in jedem Fall wird es eine Art "Mediaschiff" werden. Unter anderem wurden auch wieder Studios für Radiosendungen auf dem Schiff, was den Namen der deutschen Nordseeinsel in unserem Nachbarland so bekannt machte, eingebaut. In jedem Fall soll Mitte November die Überführung von Groningen nach Amsterdam stattfinden.
"Radio Veronica" begann 1960 mit ersten Sendungen, damals von einem ehemaligen deutschen Feuerschiff, welches sich aber nur bedingt eignete. Im Hafen von Spaame fand Bull Verweij 1964 dann ein Schiff, das kurz vor der Verschrottung stand: den ehemalige Island-Logger "Norderney".
Als "Paul J. Müller" wurde das Schiff 1950 bei der Deutschen Werft in Finkenwerder für eine Hamburger Reederei gebaut, die es ab 1951 zum Heringsfang einsetzte. 1956 wurde das mit 399 BRT vermessene, 44 Meter lange und 8,2 Meter breite Schiff an die Niedersächsische Hochseefischerei in Cuxhaven verkauft, die es umtaufte, wobei der Name der Insel Norderney Pate stand. Doch bereits vier Jahre später ging der Logger zum Abwracken in die Niederlande.
Nachdem er eine Zeit in Ijmuiden, Haarlem und Spaame lag - der Mast und das Ruderhaus waren bereits entfernt - sah die Veronica-Geschäftsführung in dem robusten und erst vierzehn Jahre alten Schiff die ideale Basis für ihren Sender. In Zaandam wurde der Logger entsprechend umgebaut. Verweij entschied, das Schiff nicht umzubenennen. Ab dem 16. November 1964 kamen die Programme jetzt von Bord der "Norderney", die bei Scheveningen außerhalb der Dreimeilenzone und somit für die Behörden unantastbar vor Anker ging. Mit dem neuen Sender war man wesentlich weiter zu empfangen, auch in Norddeutschland hören viele junge Menschen täglich zu. Denn Bull Verweij veränderte auch das Bild des Senders, weg vom niederländischen Schlager und hin zum europäischen Popsender, in dem sich dennoch niederländisches Musikgut behaupten konnte. Immerhin hatte die große Zeit der Beatmusik begonnen, doch Beatles, Rolling Stones und Bee Gees wurden bei den öffentlich-rechtlichen Stationen an Land kaum beachtet und gespielt. Verweij schickte seine Discjockeys in die USA, von wo sie eine flottere Moderation, Radiojingles, Ramptalk (Moderation in den meist instrumentalen Anfang eines Musikstückes bis zum Beginn des Gesangs) und eine wöchentliche Hitparade mitbrachten. Die "Norderney" bewegte die Massen, mehr als drei Millionen Hörer schalteten damals täglich das Programm von Bord ein, am 18. April 1973 gingen 350.000 Hörer für den Erhalt ihres Senders in Den Haag auf die Straße.
Am 31. August 1974 musste die Station dennoch schließen, weil die Niederlande das sogenannte Straßburger Abkommen gegen Piratensender unterzeichnet hatte. Die "Norderney" wurde später zur schwimmenden Diskothek in verschiedenen niederländischen Häfen, unter anderem aber auch im Emder Ratsdelft. "Radio Veronica" ist heute als weiterhin erfolgreicher Popsender ganz legal im niederländischen UKW-Netz zu hören.
Unsere Fotos zeigen die "Norderney" vor einigen Tagen im Hafen von Groningen.
JNN-FOTOS: STEFAN ERDMANN