Der Ärztemangel hat inzwischen die Insel Juist erreicht: Ende September verlässt die Allgemeinärztin Dr. Christiane Freese die Insel, und damit bleibt, wenn sich kein Nachfolger findet, Dr. Paul Okot-Opiro als Einzelkämpfer zurück.
Weil das nicht geht, hat der Juister Bürgermeister Dietmar Patron ein ernsthaftes Problem. "Ich bin in der Pflicht, die ärztliche Versorgung zu gewährleisten", sagt er. "Unsere ärztliche Situation war bisher durch die beiden Ärzte, die wir auf der Insel haben, befriedigend." Damit das so bleibt, will er sich jetzt mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Verbindung setzen.
Er muss möglichst schnell wissen, ob ein Arzt oder eine Ärztin die Praxis von Dr. Freese übernehmen möchte, oder ob die Gemeinde Praxisräume im Alten Warmbad einrichten muss, wie es einst vom Gemeinderat beschlossen worden war. "Das behalten wir uns vor, um die ärztliche Situation zu verbessern", sagt der Bürgermeister. Im Alten Warmbad könne auch eine Ärztewohnung geschaffen werden, denn der fehlende Wohnraum sei das größte Problem auf Juist.
Das kann Dr. Christiane Freese nur unterstreichen. "Wir sind nicht in der Lage, uns hier Eigentum zu leisten", sagt sie. Dass kürzlich ein Insulaner zu einem für Juister Verhältnisse erschwinglichen Preis ein Haus ersteigern konnte, hätte nicht zuletzt daran gelegen, dass die Insel zu diesem Zeitpunkt wegen der frostigen und nebeligen Witterung nicht vom Festland aus zu erreichen war. Zunehmend würden Immobilien auf der Insel von auswärtigen Investoren gekauft, die astronomische Preise zahlen können. "Immer mehr Familien wandern ab, weil sie den Wohnraum nicht mehr bezahlen können und das Leben auf der Insel sehr teuer ist - die Insel stirbt aus", blickt sie pessimistisch in die Zukunft.
Ihr Ehemann Frank Freese, der in der Gastronomie tätig ist, hatte vergeblich versucht, das Panoramacafé über dem Erlebnisbad zu übernehmen; auch der Generationenwechsel in der Familie sei fehlgeschlagen, bedauert die Juisterin, deren Eltern das Nordseehotel betreiben. Schließlich verließ Freese die Insel, weil er ein sehr gutes Angebot von Norddeich bekommen hat: Er führt nun die Molengastronomie mit dem Restaurant Pier, einem Bistro-Café und einem Kiosk. "Damit wird der Kiosk beim Juist-Anleger wieder belebt", freut sich die Ärztin, die im Zuge der Familien-Zusammenführung im Herbst aufs Festland übersiedeln will.
Sie habe die Praxis von Dr. Meyer 2006 übernommen, erzählt sie. Zwei Allgemeinärzte auf Juist seien wirtschaftlich das Maximum, um eine rentable Praxis führen zu können. "Wir bekommen eine Dienstausgleichsentschädigung für die zahlreichen Notdienste", informiert Freese weiter. Zurzeit hat sie Dauerdienst, weil Okot-Opiro bis zum 14. März nicht auf der Insel weilt.
Den Juister Ärzten geht es wie den Gastronomen: Sie müssen im Sommer quasi nonstop präsent sein und können sich dafür im Herbst und Winter eine Auszeit leisten. "Im Sommer ist die Dienstbelastung sehr hoch", sagt die Ärztin. Wer Notdienst hat, sei oft bis 22, 23 Uhr am Abend unterwegs. Außerhalb der Saison ist es sehr viel ruhiger auf der Insel. "Meine Juister sind sehr fit, weil sie sich viel bewegen", stellt Freese fest. Ihr Nachfolger könnte die Praxisräume im Haus ihrer Eltern zu guten Konditionen übernehmen. "Ich habe zwei Sprech- und ein Verbandszimmer, und dann gibt es auch noch Ausweichräume, weil die Heilpraktiker-Praxis mit drin ist."
Aufs Festland zieht es sie auch wegen der Kinder: Ihre Tochter wird im Mai zehn Jahre alt und könnte nach den Sommerferien zum Ulrichsgymnasium wechseln - genau so wie ihr zwölfjähriger Sohn, der auf Juist derzeit die Realschule besucht. "Die schulische Ausbildung ist für die Kinder auf dem Festland sicherer", sagt Freese. Und es gibt noch einen weiteren Punkt, der für einen Umzug nach Norden spricht: "Dann besucht die vierte Generation unserer Familie das Ulrichsgymnasium."
Noch hat sie sich nicht nach Räumlichkeiten auf dem Festland umgeschaut, doch sie ist durchaus an der Praxis von Klara Kohler in Rechtsupweg interessiert, die seit Ende des vergangenen Jahres leer steht - auf diese Weise könnte sie zudem etwas gegen den Ärztemangel auf dem Festland tun. Sie freut sich auch schon darauf, dass sie in ihrem Mediziner-Alltag auf dem Festland nicht ständig Bereitschaftsdienst haben wird. "Ein Leben ohne dauerndes Telefon - das ist etwas, was ich sehr reizvoll finde."
Quelle: Ostfriesischer Kurier vom 26. Februar 2011