Noch bevor auf Baltrum der Wahlkampf in die Gänge gekommen ist, prescht der parteilose Bürgermeister Berthold Tuitjer mit einem kühnen Projekt nach vorne: Er will Baltrum per Seilbahn mit dem Festland verbinden und damit unabhängig von der Tide werden. Vor dem Hintergrund des derzeitigen Ausschreibungsverfahrens des Hafenverbandes Baltrum/Neßmersiel, dessen Vorsitzender er ist, zur Vergabe der Fährlinie Neßmersiel - Baltrum wirft dieses Vorgehen ein völlig neues Licht auf die Inselpolitik, die sich in letzter Zeit maßgeblich mit diesem Thema beschäftigte und an dem sich die Gemüter scheiden.
Es gilt, eine rund fünf Kilometer lange Strecke über das Wattenmeer zu bewältigen - für den marktführenden Seilbahnhersteller Doppelmayr aus Österreich mit Sicherheit kein Problem. Es wären beispielsweise fünf jeweils 68 Meter hohe Stützen im Wattenmeer in für die Schifffahrt ausreichender Höhe erforderlich. In zwei geschlossenen Gondeln könnten bis zu 80 Personen oder entsprechend Güter innerhalb von rund zehn Minuten zur Insel transportiert werden, sieht eine Projektskizze in einer möglichen Variante vor. Dies entspräche einer Kapazität von 500 Personen pro Stunde. Mit Glasböden ausgestattete Gondeln könnten das Erlebnis über dem Watt zu schweben, noch attraktiver machen, macht Tuitjer Werbung für das Projekt.
Die Idee der Insel-Seilbahn hatte ein Spediteur aus Osnabrück, langjähriger Stammgast der Insel. Ökologische Aspekte und moderne Mobilitätskonzepte, Stichwort "Elektromobilität", standen bei dem Gedankenspiel im Vordergrund. Er hatte beim Seilbahnhersteller eine Preisindikation mit verschiedenen Möglichkeiten eingeholt.
Dass das Seilbahnprojekt kein Hirngespinst ist, belegen die konkreten Pläne, die dazu gereift sind: Für den Betrieb könnten erneuerbare Energien genutzt werden, die direkt an der Küste und der in den Offshore-Windparks auf See produziert werden. Die Seilbahn würde so den Verkehr dieselbetriebener Schiffe und auch die Zahl von Ausbaggerungen der Fahrrinne verringern. Betreiber der Insel-Seilbahn könnte der Hafenzweckverband Baltrum/Neßmersiel sein. Angst vor zu vielen Tagesgästen müsste die kleinste Ostfriesische Insel nicht haben, dies wäre eine Frage der Regulierung, so Tuitjer. Für die Baltrumer mit ihren Angestellten schließlich gelten die bekannten Argumente für die Tidefreiheit - es könnte Pendelverkehr stattfinden.
Eine erste Nachfrage seitens des Bürgermeisters bei dem einen oder anderen Ratsmitglied sei nicht von vornherein auf Ablehnung gestoßen: "Warum nicht?"
Die Investitionen werden auf ca. 20 - 25 Millionen Euro veranschlagt. Revisions-, Personal-, Fundamentsgründungs-, Umweltverträglichkeitsstudienkosten müssten zusätzlich einkalkuliert werden. Das Projekt könnte über Crowdfounding- oder Genossenschaftsmodelle sowie mit öffentlichen Fördermitteln finanziert werden, hofft der Bürgermeister.
Er wolle behutsam an das Projekt herangehen und die Bevölkerung wie auch die (Stamm-) Gäste der Insel mit ins Boot holen und bringt die Möglichkeit eines Bürgerentscheides ins Gespräch.
Unser Foto zeigt das Fährschiff "Baltrum I", welches derzeit die Hauptsäule im Fährverkehr zwischen Baltrum und Neßmersiel darstellt. Wird sie arbeitslos, wenn die Seilbahn kommt?
TEXT: SABINE HINRICHS
JNN-ARCHIVFOTO: STEFAN ERDMANN